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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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sie uns nie sagen, wer ihr Vater ist? Plötzlich ging nacktes Entsetzen als Sieger aus dem wilden Ringen der Regungen in ihm hervor. »Er hat sie töten lassen! Arvid hat sein eigen Fleisch und Blut töten lassen!«
    »Ich weiß«, sagte Dalarr ruhig.
    Angestoßen durch diese Eröffnungen wirbelten immer mehr von Namankans Gedankenfetzen umeinander und fügten sich nach und nach zu einem löchrigen Geflecht. »Sie hat doch noch für ihn gekämpft. In dieser Schlacht gegen die Pferdestämme. Du doch auch. Warum hat er sie danach so gehasst, dass er ihr Waldur auf den Hals hetzte? Und warum hat er so lange damit gewartet?«
    »Ich habe einen Verdacht, was Arvid dazu gebracht haben könnte, uns erst nach dreißig Sommern nachzustellen. Ich werde ihn nicht aussprechen. Waldur soll ihn mir bestätigen, bevor ich ihm die Zunge aus dem Maul schneide.« Dalarr spie aus. »Und die Wurzel von Arvids Hass? Es ist dieselbe wie die Wurzel seines bösartigen Irrsinns. Er hat bei Kluvitfrost ein Reich gewonnen, aber eine Königin verloren. Er hätte sie zu Hause im Palast in Silvretsodra lassen sollen, denn dann wäre alles anders gekommen. So jedoch …« Dalarr zuckte mit den Achseln. »Es nutzt nichts, dem Schicksal zu zürnen. Tausende haben ihr Leben in Kluvitfrost ausgehaucht. Was schützt eine Königin davor, dass es ihr genauso ergeht? Es zählt nur, dass Berguvens Tod der letzte Hammerschlag war, den es brauchte, um Arvid zu einer Klinge der Zerstörung zu schmieden.«
    »Aber dann muss er …« Die Feststellung fiel Namakan nicht leicht. »Er muss sie sehr geliebt haben.«
    »Spar dir dein Mitleid!«, rügte Dalarr ihn scharf. »Was für eine Liebe ist das gewesen, die so viel Hass und Leid gebiert? Ich habe Lodaja auch geliebt, und doch gehe ich nicht los, um meinen Schmerz mit dem Blut Unschuldiger zu betäuben. Ich gehe los, um über den zu richten, der mir den Schmerz zugefügt hat, nicht mehr und nicht weniger. Das ist gerecht. Das ist ehrenhaft.«
    Sie schwiegen einen langen Moment.
    Du kannst ihn das nicht fragen, quälte sich Namakan. Er wird nur noch zorniger werden. Doch! Du musst ihn fragen. Du hast keine Wahl. »Und war es auch gerecht und ehrenhaft, mir Lügen anstelle der Wahrheit aufzutischen, Meister?«
    Namakan hätte mit allem gerechnet – mit einer Ohrfeige, einem Tritt, günstigstenfalls mit grimmigem Schweigen –, doch mit einem hätte er nicht gerechnet. Dalarr lachte, was angesichts der toten Tristheit um sie herum doppelt fehl am Platz erschien. »Flikka mek! Schau uns an, Junge! Wir lustwandeln durch einen Garten und streiten wie die Könige!«
    Wenn man als König so viel lügen und verheimlichen muss, dann pfeife ich auf jede Krone!
    »Nein, natürlich war das nicht ehrenhaft von mir«, gestand Dalarr. »Und ich könnte mir in den Hintern beißen, dass es etwas braucht, was die Welt noch nicht gesehen hat, um das zu erkennen. Eine faltige Elfe, die über einen lebenden Leichnam wacht! Ich habe es nicht besser gemacht als sie.« Er lachte noch einmal auf und fuhr sich über die Augen. »Keinen Deut besser.«
    Weint er? Aber nur vom Lachen … oder?
    »Ich habe die Dinge so gesehen, wie ich sie sehen wollte, und nicht so, wie sie sind«, erklärte Dalarr. Er wich vom Weg ab, um am Ufer des gefrorenen Sees in die Hocke zu gehen. »Wie eine alte, törichte Elfe, die Zauber um Zauber wirkt, um einen Traum weiterzuträumen, aus dem sie längst hätte erwachen müssen.« Er nahm einen Kiesel und wog ihn in der Hand. »Oder wie ein Greis, der sich einredet, seine Frau sei noch immer ein junges Mädchen, auch wenn das Haar in ihrem Schoß weißer als das auf seinem Kopf ist.« Er warf den Stein, der zwei-, dreimal über das Eis hüpfte, bevor die Kraft des Wurfs nicht mehr ausreichte, ihn weiter voranzutreiben.
    Angefacht durch die Bemerkung über Haar, das seine Farbe nicht behielt, gab sich Namakans aufgekratzter Geist der Aussicht hin, womöglich die Lösung eines Rätsels durchschaut zu haben. »Das ist es!« Nun war es sein Lachen, das dem Eis und der Kälte trotzte. »Damit hat sie dich verzaubert, als du das letzte Mal bei ihr gewesen bist, nicht wahr?«
    »Womit?« Dalarr runzelte die Stirn.
    »Du musst dich gar nicht verstellen, Meister! Dein Haar. Es wird dunkler und dunkler. Das ist von ihrem Zauber. Du hast geahnt, dass Waldur und Arvid eines Tages nach dir und Lodaja suchen würden. Du hattest Angst, du könntest zu alt sein, um sie zu verteidigen, wenn es so weit ist. Deshalb hat

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