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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Biegung, da kommt das Zimmer, in dem Galt liegt. Ich nehme an, dass dein Meister dieses traurige Lied für ihn singt. Willst du, dass er uns bemerkt?«
    Namakan sammelte Spucke und spie sie auf das Flämmchen. Er hatte nicht sonderlich gut gezielt, und der Großteil landete gefährlich nahe an Morritbis Fingerspitzen, doch die paar Tropfen, die das Flämmchen trafen, reichten völlig aus. Es verlosch mit einem wütenden Zischen.
    »Gut.« Morritbi ließ das Stöckchen fallen. »Warte hier.«
    Sie presste sich an die Wand des Gangs und pirschte sich Schritt für Schritt an das Licht heran. An der Biegung angekommen, ging sie in die Hocke und spähte dicht über dem Boden um die Ecke. Danach kam sie zurück zu Namakan gehuscht.
    »Ich hatte recht«, flüsterte sie aufgeregt. »Dalarr ist da drin. Nimarisawi auch.«
    »Und jetzt?«
    Dalarr sang zum dritten Mal von Asche und Feuer.
    »Jetzt hören wir uns an, ob dein Meister nur zum Singen hier ist.«
    Sie fasste ihn am Arm und zog ihn den Gang hinunter. An der Ecke bedeutete sie ihm, sich hinzuknien. Er tat es, und sie stützte die Hände auf seine Schultern. »Bleib so weit unten, wie es geht«, wisperte sie.
    Sie lugte über ihn hinweg in die Kammer.
    Namakan hielt den Atem an und schaute ebenfalls um die Ecke. Er war sehr wohl gewappnet, seinen Meister und die alte Elfe zu sehen. Worauf er nicht vorbereitet war, war die Quelle des kalten Lichts: Es schien unmittelbar aus den Wänden der Trauerkammer selbst zu kommen, aus den feinen Rillen der Maserung des Holzes, das nach dem Willen der Elfen gewachsen war. Zauberei. Alles hier steckt voller Zauberei.
    Das Licht, das sie von allen Seiten umgab, raubte Dalarr und Nimarisawi die Schatten. Namakans Meister stand am Fußende der Bahre seines Freunds, den Kopf in den Nacken gelegt, und sang die letzte Zeile seines Lieds mit der steten Inbrunst, mit der er auch die anderen Verse vorgetragen hatte.
    »Bist du nicht ein guter Sänger?« Nimarisawi hatte die Augen geschlossen, als hallte die gerade verklungene Melodie noch in ihr nach. »Ist es nicht ein ergreifendes Lied?«
    »Ich habe dieses Lied schon viel zu oft gesungen«, erwiderte Dalarr bitter. Sein Gesicht war eine ausdruckslose Felswand.
    O Morritbi! Wenn er uns in dieser Laune erwischt, bin ich nicht der Einzige, dem er die Ohren langziehen wird.
    »Hast du es für Lodaja gesungen?«
    »Ja, auch für sie.« Dalarr straffte die Schultern. »Hör zu, Nimarisawi. Ich bin nicht hier, um mir Lob für meine Sangeskünste abzuholen.«
    »Nein? Was ist es dann?« Die Elfe löste eine Hand vom Knauf ihres Stocks, um sich mit einem Finger über das spitze Kinn zu streichen. »Verlangst du wieder einen Zauber von mir?«
    »Nein.«
    Wieder? Wie viele Zauber hat er sich von ihr wirken lassen?
    Ein Schaudern packte Namakan, als Nimarisawi es ihm unwillentlich verriet. »Sind wir uns nicht nur zweimal begegnet, und hast du nicht jedes Mal nach einem Zauber verlangt?«
    »Ich bin nicht wegen deiner Zauber gekommen.« Dalarr sah zu Galts im Todesschlaf liegender Gestalt. »Ich bin wegen ihm gekommen. Es gibt noch jemanden, den ich finden muss, und ich hatte die Hoffnung, dass Galt mir dabei helfen wird.« Er blickte wieder zu der Elfe auf. »Aber Galt wird nie wieder jemandem helfen, nicht wahr?«
    »Warum tust du, als wäre ich dumm?«, fragte Nimarisawi enttäuscht. »Denkst du, ich weiß nicht, wie es mit meinem Liebsten ist? Dass es mit ihm ist wie mit Sus Atschil? Dass ich an etwas festhalte, das nicht festzuhalten ist? Das mir durch die Hände rieselt wie Sand? Ganz gleich, wie verzweifelt ich auch die Finger schließe?«
    Das Zittern von Morritbis Händen auf seinen Schultern zeigte Namakan, dass die Hexe und er von derselben Erkenntnis ereilt wurden. Das schwarze Skaldat von Waldurs Pfeil! Es hätte Galt schon lange töten müssen. Es sind nur ihre Zauber, die ihm diesen letzten Rest kläglichen Lebens schenken. Und was für ein schreckliches Geschenk das ist!
    »Galt hat dich an Sus Atschil gelehrt, wie man loslässt.« Dalarr bleckte die Zähne und hieb mit der Faust auf die Bahre. »Verflucht! Du stehst hier und verweigerst einem Mann, der für dich die Welt aus den Angeln gehoben hätte, das, was er damals deinem Gaul gegeben hat. Ist das gerecht? Ist das ehrenhaft? Ich verstehe dich nicht, Nimarisawi. Tausende Sommer auf dem krummen Buckel und du führst dich auf wie ein Kind.«
    »Kennst du keine Vorsicht?« Das Licht aus den Wänden blitzte auf, eine flüchtige

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