Heldenwinter
welcher Skra Gul nun der echte ist.
Auf diesem Feldzug habe ich erfahren, dass sich niemand mehr für die Deutung von Omen interessiert als Männer und Frauen, die erfahren wollen, ob sie in den Tod oder zum Sieg schreiten. Dies trifft auch auf die Skra Gul zu. Als sie hörten, dass eine Gesandte der Gefiederten in der Nähe war, holten sie mich zu sich.
Ich habe ihnen viele Zeichen gedeutet, und ich kann mich rühmen, dem einen oder der anderen zutreffend vorausgesagt zu haben, wie er sein Ende findet. Und ich habe von vielen gehört, wie sie für den Weißen Wind auserwählt wurden.
Der Skra Gul hat sich zwar in der Hauptstadt eine Bastion errichten lassen, doch er weht von einer Provinz des Reichs zur nächsten. Und überall, wo er auftaucht, sucht er nach Menschen, für die Schmerzensschreie und Waffengeklirr die süßesten Klänge sind. Menschen, die ihre höchste Lust darin finden, Blut und Gedärm spritzen zu sehen. Sie alle unterzieht der Skra Gul einer Prüfung, um die Prahler von den Aufrichtigen zu trennen.
Ein Mann, der damals zu mir kam, hatte auf das Geheiß des Skra Guls einer Mutter die Kehle aufgeschlitzt, die Brot für ihre Kinder gestohlen hatte – und er zertrat den Kindern die Schädel, weil der Skra Gul ihm sagte, aus dem Schoß einer Diebin würden nur weitere Diebe kriechen.
Eine Frau mit dem sonnengebleichten Haar, wie man es nur in den Wüsten findet, hatte eine ganze Karawane von vermeintlichen Ketzern zu einer vergifteten Oase geführt – und als Beweis für ihre Tat verschonte sie einen der Frevler vor dem Gift, um ihn nackt hinter ihrem Kamel bis zum wartenden Skra Gul zu schleifen.
Solche Menschen waren es, die in mir eine Verbündete zu erkennen begannen. So kam ich zu der Ehre, dem Skra Gul von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Wir erkannten einander nicht. Viele Sommer waren seit unserer flüchtigen Begegnung im Kloster vergangen, und mir dämmerte nur langsam, dass dieser Krieger in Weiß ebenjener war, den ich schon einmal ohne einen Faden am Leib erblickt hatte. Ich vermute, für ihn war und blieb unser Aufeinandertreffen in seinem Zelt unsere allererste Begegnung. Auch er bat mich, ihm Omen zu deuten, doch er tat es nicht mit dem gleichen Ernst wie die anderen. Er lächelte unentwegt. Er nannte mir heiter Zeichen, die ich für ihn auslegen sollte. Den aufgebrochenen Ameisenhügel am Wegesrand, auf den sein Blick gefallen war. Das schorfige Muttermal auf der Brust einer Hure, die er unlängst besprungen hatte. Die Schmetterlingslarve am Zweig eines Baumes, die er bei der letzten Rast aus einer Laune heraus aus ihrem Kokon geschält hatte und die in seiner Hand verendet war.
Ich besann mich auf das Rauschen der Schwingen Krokas und befolgte meinen heiligsten Eid: Ich sprach die Wahrheit für ihn, und ich sagte ihm, es lägen Tod und Vernichtung am Ende seines Weges. Ich rechnete damit, dass ihm sein Lächeln verging. Ich irrte. Es wurde breiter, und er lobte mich für meine Weisheit, wie man einen Hund dafür lobt, wenn er ein possierliches Kunststück vollführt.
Erst in Südwart begriff ich, warum er gelächelt hatte.
Es stellte sich heraus, dass die Mauern der Zitadelle bei Weitem nicht allen Bewohnern der Stadt Platz boten. Für den Baron und seine verbündeten Kaufleute gewiss, doch nicht für die einfachen Seidenpflücker. Ihnen blieben die Tore verschlossen, und sie hegten einen berechtigten Zorn auf ihre Herren. Sie warteten in den Seidenbaumhainen auf die Ankunft von Arvids Armee, und ich schwöre, sie jubelten, als sie die Drachenbanner am Horizont flattern sahen.
Sie jubelten nicht lange.
Waldur gab den Befehl, sie alle niederzumetzeln, und wo die gewöhnlichen Soldaten zögerten, wüteten die Skra Gul mit verzückten Gesichtern. Sie hackten die armen Leute in Stücke und breiteten ihr Fleisch in der Sonne aus.
Der Baron schickte einen Unterhändler, der schluchzend anbot, Südwart würde in den nächsten fünf Sommern alle Seide der Stadt an Arvid abtreten, wenn die Angreifer nur Gnade zeigen würden. Waldur band ihn höchstselbst an einen Seidenbaum, ehe die Skra Gul sämtliche Haine anzündeten. Es ging nicht mehr um die Seide. Es ging nie um die Seide. Es ging darum, dass es jemand gewagt hatte, an Arvids Ordnung zu zweifeln, die letztlich Skra Guls Ordnung ist.
Der Krieger in Weiß wartete, bis das Fleisch der toten Pflücker reif von Maden und Geschmeiß war. Dann holte er einen Reif aus einer Truhe in seinem Zelt und zerbrach ihn. Ein
Weitere Kostenlose Bücher