Heldenwinter
Stimme. »Damals, da musste ich mich im Zaum halten, nur diese eine Frau zu verbrennen, die Waldur den Treffpunkt meiner Eltern verraten hatte. Ich war kurz davor, ihr ganzes Dorf in Flammen zu setzen.«
»Wie hast du es geschafft, das nicht zu tun?«
»Ich habe lange mit dem Feuer gesprochen.«
»Und das Feuer hat dir geraten, deine Wut zu zügeln?«
»O nein.« Zwischen ihren Lippen blitzten ihre kleinen, spitzen Zähne auf. »Da kennst du das Feuer aber schlecht. Es will brennen. Immerzu.«
»Was war es dann?«
»Der Gedanke daran, wozu mich meine Mutter erzogen hat. Trost zu bringen und kein Elend.« Sie seufzte. »Ich will nicht lügen. Ich habe viel geweint und geschrien damals. Am Anfang wollte ich es nicht einsehen. Aber es ist so: Man wiegt das Leid, das einem widerfahren ist, nicht dadurch auf, dass man es anderen antut. Versteh mich nicht falsch. Ich predige gewiss keine vollkommene Friedfertigkeit. Doch wenn man tötet, sollte man darauf achten, dass man sich nicht in der Lust daran verliert.«
Sie schwiegen eine Weile. Er lauschte ihrem Atem und sog den klaren Duft der Auen in seine Nase. Von irgendwo in den Tiefen seines Verstands tauchte das Bild des Mannes auf, dem er auf der Brücke über die Narbe den Kopf gespalten hatte. Ich habe schon getötet, und es hat mir nicht gefallen. »Du meinst also, ich stehe nicht unter dem Bann eines Geists?«
»In den Ketten wohnt bestimmt kein Geist. Höchstens …« Sie zuckte mit den Schultern. »Der Geist eines Geistes.«
»Woher willst du das so genau wissen?«
»Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man einen Geist, der so mächtig ist wie der Plagenvater, in einem einfachen Rucksack aus Sauleder gefangen halten kann.«
Sie grinste, und er lächelte zurück.
»Morritbi, ich …«, setzte er an, doch bevor er weiterkam, beugte sie sich zu ihm herunter und erstickte seine Worte mit einem Kuss. Als sich ihre Zungenspitze in seinen Mund schob, kitzelte sie in ihm eine gänzlich andere Lust als die nach Blut wach. Ein Windstoß brauste durch das Weidenlaub, und Namakan warf ihm seine Sorgen gern hinterher. Er wusste, dass sie zu ihm zurückgekrochen kommen würden, doch die Zeit bis dahin gehörte nur ihm und seiner Hexe.
Zwei – oder waren es drei? – Etappen später auf ihrer Reise den Fluss hinunter fand Namakan erneut Gelegenheit, über seine beunruhigenden Erfahrungen mit der Kette zu sprechen.
Eisarn hatte im Kahn Angelschnur und Haken gefunden und sich eine behelfsmäßige Rute aus einem Haselzweig gebaut. Ein Zwerg beim Angeln, dachte Namakan, als er Eisarn so im Dämmerlicht am Ufer sitzen sah. Die Wunder auf dieser Reise …
Eisarn drehte sich zu ihm.
Habe ich das etwa gerade laut gesagt? Namakan lächelte verhalten.
Eisarn klopfte neben sich auf den Boden. »Komm. Dir lastet etwas auf der Seele.«
»Wir werden die Fische verscheuchen«, sagte Namakan, doch er setzte sich trotzdem zu dem ungeschickten Angler.
»Es gibt Wichtigeres.« Eisarn sprach mit ungewohntem Ernst. »Du hast sie berührt.«
Namakan wusste sofort, wovon die Rede war. »Ja.«
»Ich auch.« Eisarn blähte die Nüstern. »Diese verfluchten Ketten. Sie haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ein verstoßener Säufer.«
»Dalarr sagte, du seist schon immer sehr trinkfest gewesen.«
»Wohl wahr, wohl wahr«, bestätigte der Zwerg. »Doch es gibt einen Unterschied zwischen Trinken und Saufen. Zumindest in der Sprache meines Volkes. Trinken tut jeder, saufen tun nur die, die etwas in sich ertränken wollen.«
»Den Ruf der Kette …« Namakan zog die Knie an und schlang die Arme darum.
»Du bist schlau«, merkte Eisarn an. »Schlauer als ich in jedem Fall, und vielleicht sogar schlauer als dein Meister. Ich habe dich beobachtet, wie du im Boot sitzt. Wo du hinschaust. Wie du da hinschaust. Wenn es nach dir ginge, hätten wir deinen Rucksack schon längst in den Fluss geworfen.«
»Was wäre falsch daran? Dalarr und du, warum seid ihr davon überzeugt, dass wir die Ketten brauchen, um Arvid zu besiegen? Sie sind …« Namakan fiel kein besseres Wort ein. »Böse.«
»Mächtig«, entgegnete Eisarn. »Du hast es selbst gespürt. Du spürst es immer noch. Smarna! Ich spüre es immer noch, und ich habe sie seit Dutzenden von Sommern nicht mehr getragen.« Er zog ungeduldig an der Angelrute. »Du musst sie sehen wie eine Waffe. Ein Schwert ist auch nicht gut oder böse. Der, der es führt, entscheidet darüber, ob er damit Gutes oder Böses tut.«
»Ein
Weitere Kostenlose Bücher