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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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tosender Wind kam auf, das sichtbare Antlitz der Kreatur, die der Skra Gul entfesselte. Mit Tausenden Fingern nahm sie das Aas auf und wirbelte es in die Stadt hinein.
    Als der Wind sich Stunden später gelegt hatte, wies der Krieger in Weiß sein Heer an, die Tore der Zitadelle zu stürmen. Sie stießen auf keinerlei Gegenwehr. Die Rammböcke brachen durch die Tore, ohne dass Pfeile, Steine oder brennendes Öl auf die Männer an ihnen herabregnete. Drinnen war niemand mehr am Leben. Die Toten lagen überall – in den Gängen und Kammern, auf den Treppen und Zinnen. Die Söldner, die Händler, der Baron und deren Weiber und Kinder. Ihre Hälse quollen von dem stinkenden Aas über, das sie allesamt erstickt hatte.
    Bevor er die Stadt schleifte, rief mich der Krieger in Weiß noch einmal zu sich. Wir standen auf dem Hügel, auf dem sein Zelt aufgeschlagen war. Er hieß mich freundlich willkommen, küsste mir Stirn und Wangen. Dann wandte er sich von mir ab, die Arme ausgebreitet, legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend.
    Es gibt eine Frage, die mich bis heute quält: Wäre ich schnell genug gewesen, um ihm in diesem Augenblick mit meinem Stab niederzustrecken, und wie viel Leid hätte ich wohl damit verhindert?
    Ich darf nicht verschweigen, dass unser Tross auf dem Weg zurück in die Hauptstadt mehr Opfer zu beklagen hatte als auf dem gesamten restlichen Feldzug. Die Schreiber wurden einer nach dem anderen von Unfällen und Krankheiten dahingerafft, und auch die Stridus-Priester wurden von ihrem Gebieter überraschend in seine Waffenkammer geholt, um sich für die Schlacht am Ende aller Zeiten zu rüsten. Die Wanderhuren und die einfachen Soldaten blieben indes verschont. Wer von den hohen Herren daheim hätte ihnen auch geglaubt, wenn sie von den Gräueln berichteten, die sie in Südwart gesehen hatten? Alles Hurengeschnatter. Schauergeschichten, wie sie Bauerntölpel nun einmal erzählen, wenn man sie in einen Waffenrock steckt und in ferne Lande schickt, um Krieg zu führen.
    Namakan legte Holz aufs Feuer nach. Morritbi, die nur die letzten Teile der Geschichte mit angehört hatte, spielte mit dem Beutel an ihrem Gürtel, in dem sie das rote Skaldat verwahrte.
    Ammorna, die Hände noch immer unter den Achseln, wiegte ihren Oberkörper vor und zurück, wie sie es von Beginn ihrer Erzählung an getan hatte. »Warum, Dalarr? Wie konntest du die Ketten an einem Ort verwahren, an den außer dir und Waldur nur die wenigsten gehen können?«
    »Weil er niemals dorthin gehen würde«, sagte Dalarr. »Er ist zu feige dafür.«
    »Sprich nicht in Rätseln, Meister«, verlangte Namakan.
    »Er fürchtet diesen Ort wie ein Kalb das Brandzeichen, weil er nicht sterben will.« Dalarr schaute Namakan ernst an. »Du hast mich gesehen, wie ich vor den Bahren stand. Sie verheißen etwas, das meinesgleichen nur schwer findet. Ruhe. Die Stille Leere. Und je mehr Zeit an uns vorüberfließt, desto schwerer wird es für uns, dieser Verheißung zu widerstehen. Ich war mir sicher, dass Waldur es hält wie der treue Gatte, der den weitesten Bogen um die Hurenhäuser macht, weil er sich nicht beherrschen kann, wenn der Rock erst einmal gehoben ist.«
    »Ein gefährliches Spiel«, meinte Morritbi.
    »Es ist aufgegangen«, erwiderte Dalarr.
    »Eines fällt mir schwer zu glauben, Ammorna«, sagte Namakan.
    Die Weißhaarige blickte auf. »Warum überrascht mich das nicht?«
    »Ich will nicht glauben, dass er sich nicht an dich erinnern konnte, als du nach Silvretsodra gegangen bist, um darauf zu warten, dass Kjell freigelassen wird.«
    »Ach …« Ammorna verzog das Gesicht, als hätte er ihr einen Dolch ins Herz gestoßen. »Du mit deinen schlimmen Fragen, kleiner König. Aber du vergisst, dass er mich kannte, als mein Haar noch schwarz, meine Haut noch glatt und meine Brüste noch straff waren. Und später stand ich so vor ihm, wie du mich hier sitzen siehst. Als graue Vettel. Und weißt du was?«
    »Was?«
    »Ich will glauben, dass er mich vergessen hat.« Ihre Stimme begann zu zittern. »Weil ich sonst damit leben müsste, dass er mir vielleicht einen Gefallen erweisen wollte, als er Kjell freigegeben hat. Würdest du in der Schuld dieses Ungeheuers stehen wollen?«

28
    Krieg spült Unrat an, der auf zwei Beinen geht und ein hungriges Maul hat.
    Berühmte Äußerung des Reichsverwalters von Silvretsodra aus der Zeit der Ersten Schlacht von Kluvitfrost
    Selbst der Silvret schien sich der Macht zu beugen, die von der Hauptstadt

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