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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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erwartet hatte. Stattdessen huschte sie eilig vom Ufer weg auf ein Gebüsch zu.
    »Wohin willst du?«
    »Dorthin, wo du auch am liebsten allein bist!«
    Dalarr lachte, und der fröhliche Laut stieß Namakan übel auf.
    »Warum hast du mich die Ketten tragen lassen, Meister?«
    »Das habe ich dir doch gesagt.« Dalarrs Miene wurde ernst. »Du hast das reinste Herz von uns allen.«
    »Ist das der einzige Grund?«
    »Hat dir Eisarn etwa irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt?«
    »Ist das der einzige Grund?«, wiederholte Namakan.
    »Ja.« Dalarr sah ihm fest in die Augen. »Mein Herz ist alles, aber nicht rein. Wer so lange lebt, behält kein reines Herz. Das ist unausweichlich. Ich kenne mich. Ich kann mir sehr gut ausmalen, wozu mich die Ketten bringen würden, wenn ich sie je berühre. Deshalb habe ich sie damals Eisarn tragen lassen, und deshalb hast du sie jetzt getragen. Ich habe sie nicht umsonst so versteckt, dass ich sie nie wieder allein hätte bergen können.«
    »Dieses Versteck …« Sowohl Dalarr als auch Namakan zuckten zusammen, als plötzlich Ammornas brüchige Stimme erklang. »Warum hast du diesen Ort in der Welt hinter der Welt gewählt? Waldur muss doch auch von ihm gewusst haben?«
    »Waldur?« Namakan runzelte die Stirn. »Wieso Wal…?« Dann fügten sich blitzschnell neue Teile des Mosaiks in seinem Kopf, wie wenn sie nur darauf gewartet hätten, an den passenden Platz zu purzeln. Ein alter Freund des Meisters, mit dem er viele Sommer auf Abenteuersuche durch die Welt gezogen ist. Der Skaldat schmieden und Geister bannen kann. Der einen König auf den Thron hievt, als wäre es ein Kinderspiel. »Er ist wie du!«
    »Skra Gul. So nennen ihn die Mörder, die er um sich geschart hat«, sagte Ammorna. »Der Weiße Wind. Ein uralter Name für ein uraltes Geschöpf. Ich bin ihm begegnet.«
    »Im Kloster!« Namakan riss die Augen auf. »Als Lodaja zwischen ihm und Dalarr gewählt hat. Und dann noch einmal, als er Kjell aus seinem Käfig geholt hat. Seitdem wusstest du, was er ist. Wegen des Fluchs!«
    »Ich wünschte, es wäre so«, erwiderte Ammorna. »Ich wünschte wirklich, es wäre so.«
    Es war in der Zeit, kurz nachdem ich endlich aus dem Kloster in die Welt hinausdurfte. Ich hatte meine Eide und Prüfungen abgelegt und mich dem Urteil der Krähen gestellt. Und anstatt mir die Augen auszuhacken, als ich mich zu ihrer Brut ins Nest legte, fütterten sie mich wie eines ihrer Jungen.
    Es war eine Zeit großen Aufruhrs im Reich. Nicht jeder war mit den Gesetzen einverstanden, die Arvid erließ. Oh, seine Segnungen nahm man gern, doch mein armer Kjell ist nicht der Erste und nicht der Einzige gewesen, der sich jemals geweigert hätte, Tribut an Arvid zu entrichten.
    Kroka lehrt uns, dass Blut fließt, wenn das Hohe mit dem Niedrigen verschmilzt. So geschah es damals in Südwart. Der Baron dort schloss einen Pakt mit den Händlern. Adlige und Kaufleute gleichermaßen waren zu der Überzeugung gelangt, dass es ungerecht war, dass sie überhaupt auch nur den kleinsten Teil ihrer Seide an Arvid abtraten. Ihnen war bewusst, wie Arvid dieser Schmach begegnen würde: mit Waffengewalt. Also wappneten sie sich dagegen, indem sie die Gewinne aus dem Verkauf der Seide, auf die Arvid Anspruch erhob, in die Anwerbung und Ausrüstung einer Armee von Söldnern steckten. Sie igelten sich hinter den Stadtmauern ein und warteten auf den Hieb von Arvids stählerner Faust.
    Ich war nur eine von vielen in dem Tross, der von Silvretsodra nach Süden aufbrach. Soldaten auf dem Marsch ziehen immer einen Schwanz hinter sich her, in dem die Hohen und die Niederen Seite an Seite marschieren, und diesmal war es nicht anders: geschäftstüchtige Wanderhuren, die in den Soldaten ihre besten Kunden haben; eifrige Schreiber, die sich mit glühenden Schilderungen der Schlacht ewigen Ruhm erwerben wollen; die Hohepriester des Kriegsgottes, die dem blutigen Wirken ihres strengen Herrn huldigen wollen; und ich, eine einfache Dienerin Krokas.
    Allen voran jedoch ritt Waldur. Anführer und Teil des Skra Gul zugleich. Ja, er nennt sich der Weiße Wind, doch so heißt auch die finstere Truppe seiner üblen Gesellen. Ich mag nicht entscheiden, ob er dies aus Eitelkeit oder aus Verschlagenheit so hält. Ob er sich heimlich daran ergötzt, seinen eigenen Namen auf so viele Sterbliche übertragen zu sehen. Oder ob ihm eher daran gelegen ist, seine wahre Natur zu verschleiern und andere Tegin zu verwirren, die vielleicht nicht mehr wissen,

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