Heldenwinter
gegen die Brust, gehalten von einem Lederband, das am Mundstück befestigt war.
Er war es!, verstand Namakan. Dieser Kerl hat uns beobachtet. Er ist neben uns geschwommen – nein, getaucht –, und er muss durch das Rohr geatmet haben. Die Folgerung, die Namakan daraus zog, ließ sein ohnehin pochendes Herz noch schneller schlagen. Er lebt hier unten, wissen die Untrennbaren wie lange schon. Hier, in dieser erbärmlich stinkenden Dunkelheit.
»Keine Entschuldigungen«, sagte der Rattenfresser. Er schüttelte den Kopf, und Tropfen verseuchten Wassers flogen ihm aus Haar und Bart. »Keine Entschuldigungen.«
»Was dann?«
»Wegezoll.« Es war unheimlich, dieses Wort zu hören. Es gehörte nach oben in die Welt der Sonne, in den Mund eines Uniformierten hinter einer Schranke. Nicht in diese Finsternis, wo es über die blassen Lippen eines verwilderten Mannes kam, der Ratten fraß. Und doch hatte Namakan es auf seiner Reise schon einmal in der Finsternis gehört, geschabt von den Beinen einer Spinnenkönigin. »Wegezoll.«
Neue Gestalten schälten sich langsam aus dem Dunkel. Von vorn auf dem Steg näherte sich eine hagere Frau, einen Lumpen so um den Kopf gewickelt, dass ihr linkes Auge von dem braunfleckigen Stoff bedeckt wurde. Mit ihrem einen Arm führte sie ein nacktes Kleinkind hinter sich her, mit dem anderen schwang sie einen mit Scherben gespickten Holzknüppel. »Verirrt?«, raunte sie. »Verirrt?«
Hinter dem Riesenkerl standen nun zwei junge Männer, deren Gesichter wenig mehr als eine Ansammlung von schwärenden Pusteln waren. Einer der beiden schnupperte wie ein Tier, das Witterung aufnahm. »Oben«, stellte er fest. »Sie riechen nach oben.«
»Lass das!«, brüllte der Anführer plötzlich und zeigte mit einem seiner Messer auf Tschumilal. »Lass das!«
Die Halbelfe hatte ihr Planenbündel vor sich auf dem Steg abgesetzt, um es aufzuschlagen. »Wollt ihr nicht Wegezoll?«
»Doch.«
»Ist das nicht etwas, das man bezahlt, wenn man bei den Menschen über Grenzen geht?«, rückversicherte sie sich.
»Doch.«
»Warum willst du dann nicht meinen Wegezoll?« Sie wühlte unbeirrt in dem Inhalt ihres Bündels und flüsterte Laute in ihrer zischenden Sprache.
»Ist das genug Wegezoll?« Tschumilal zog die Hand aus der Tasche und zeigte dem Rattenfresser, was sie hervorgeholt hatte. Fünf kleine Klumpen Gold, die im Schein von Ammornas Stab verführerisch glänzten.
Wann hat sie die gesammelt? Namakan blieb die Luft weg.
Das Mienenspiel des Rattenfressers war faszinierend. Die zuvor misstrauisch zusammengekniffenen Augen weiteten sich, seine Nasenspitze zuckte, sein Mund klappte auf. Dann rückten seine Brauen wieder enger zueinander, als er die Stirn runzelte, wohl weil ihm sein Gedächtnis verriet, dass Tschumilal ihm da etwas völlig Unverhofftes auf ihrer Handfläche präsentierte: eine plötzliche Errettung für ihn und seine Sippschaft aus jämmerlichstem Elend. Ein Ende des Rattenfressens. Den Beginn eines neuen Lebens in Würde. Ein Ausweg aus dem Dunkel. »Gold.«
Tschumilal drehte ihre Hand um.
»Nein!« Der Mann mit den Messern machte einen Satz nach vorn, doch es war zu spät. Die Goldklumpen platschten in die Brühe. »Sucht sie! Sucht sie!«, herrschte er die beiden Jünglinge hinter sich an, die Arme bis zu den Schultern im Wasser. Die Pustelgesichter befolgten den irren Befehl.
Dalarr handelte. Er riss sein Bündel vom Kopf und stürmte damit wie mit einem Rammbock auf das Mädchen vor sich auf dem Steg zu. Sie nahm den Speer hoch. Seine Spitze glitt an der Plane ab. Dann prallten Namakans Meister und die junge Rattenfresserin zusammen. Dalarrs größere Masse setzte sich durch: Das Mädchen wurde vom Steg geschleudert.
Die Frau dahinter – ihre Mutter? – fauchte entsetzt auf. Dalarr nutzte den Schwung seines Sturms und haute ihr das Planenbündel ins Gesicht. Die in den Stoff eingeschlagene Rüstung schepperte gedämpft. Die Frau wankte einen Schritt nach hinten. Beim zweiten verfehlte ihr Fuß den Steg. Sie kippte seitlich in den Kanal, wobei sie das Kind an ihrer Hand mit sich in den Fluss aus Unrat zog.
»Lauft!«, rief Dalarr. »Lauft!«
Namakan hetzte los, ständig nach unten zu seinen eigenen Füßen schauend, um ja nicht das Schicksal der Rattenfresserin und ihrer Kinder zu teilen. Dass er ins Dunkel jenseits von Ammornas Licht eilte, erschwerte die Sache. Die Bedrängnis verlieh ihm zum Glück einen erstaunlichen Gleichgewichtssinn.
»Das gute Gold! Das gute
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