Heldenwinter
befremdlicher.
Morritbi und Tschumilal fühlten sich in ihren neuen Kleidern mit den ausladenden Röcken und den hohen Krägen sichtlich unwohl, auch wenn diese nach Angaben des Einkäufers voll der jüngsten Mode entsprachen.
Auf ein besonderes Kleidungsstück, das ihm der Bedienstete des Badehauses angedeihen ließ, war Namakan regelrecht stolz. Ein Kapuzenumhang aus rotem Samt. Der macht sich bestens zur Klinge meines Dolchs und dem Blut, das bald von ihr tropfen wird.
Sie verließen das Badehaus und tauchten in den Trubel ein, der inzwischen auf den Straßen Silvretsodras herrschte. Ihr ungewöhnlicher Weg in die Stadt hatte die Wanderer anscheinend in eines der besseren Viertel geführt. Es lag dicht unterhalb der gezackten Mauer, mit der sich die Granden gegen den Pöbel abschotteten.
Dalarr lotste sie in eine Straße, in der sich ein Laden an den nächsten reihte. Vor einem Geschäft für Schreibwerkzeug bat er seine Gefährten, kurz draußen zu warten. Er kehrte mit einer kleinen Rolle Pergament, einem Kohlegriffel und der Wegbeschreibung zu dem Ort zurück, an dem Waldur sich für gewöhnlich aufhielt.
»Ich nehme nicht an, dass du vorhast, deinen letzten Willen zu schreiben«, sagte Eisarn.
»Nein, habe ich nicht«, erwiderte Dalarr, aber er gab keine weitere Auskunft darüber, was es mit Pergament und Griffel auf sich hatte.
Der Weiße Wind hatte seine Bastion nicht in den oberen Gefilden Silvretsodras errichtet. Die Wanderer mussten den Hügel hinabsteigen, ganz in die Nähe des Hafens.
Auf ihrem Weg dorthin sah Namakan noch mehr große Menschen aus den entlegensten Provinzen des Reichs: Männer aus den Harten Landen in Faltenknieröcken, die ihre Dolche wie eine Schamberge genau über ihrem Schritt trugen; zierliche Damen von den Feuerhöhen, deren Gesichter hinter weißen Holzmasken verborgen waren und neben denen winzige, haarlose Hündchen hertrippelten; fette, geschorene Mönche des Schlingerkults, die die langen Schleppen ihrer seidenen Gewänder stolz zur Schau stellten wie überfütterte Pfauen …
Es war Kjell, der Namakan und Tschumilal darüber aufklärte, woher all diese Fremden stammten, wenn auch widerwillig. Ammorna, die in Swemmanger noch mehr oder minder geduldig Namakans Fragen beantwortet hatte, war in dumpfes Schweigen verfallen.
Sie sind alle so still. Alle außer mir und Tschumilal. Namakan krallte die Finger um die Riemen seines Rucksacks, als er begriff, warum dem so war. Das könnte unser letzter Gang sein. Zu Waldur. Sie haben ihn gesehen. Sie wissen, wie er ist. Tschumilal und ich kennen ihn nur aus Geschichten.
Am Hafen angelangt, bemerkte Namakan, dass trotz des Krieges der Strom an Waren keinesfalls versiegt war. Lastkähne pendelten zwischen den Pieren und den Booten, die sich vor dem Netz stauten, hin und her. Dass die Schiffer draußen bleiben mussten, hieß offenbar nicht, dass das auch für die Güter galt, die sie herbeischafften. Natürlich, grollte Namakan stumm. Was sollten sich die hier drinnen auch um die draußen scheren? Die hier oben scheren sich noch nicht einmal um die da unten. Sie haben ja zu fressen, und sie haben feine Stoffe, um sich damit den Hintern zu wischen. Und sie haben ihre hohen Mauern und ihre Zugbrücke und ihr schweres Tor … Ein düsteres Grinsen verzerrte sein Gesicht. Aber all das wird ihnen nichts nutzen, wenn irgendwann jemand kommt, so wie wir, der bereit ist, durch die Scheiße zu gehen, um sie für ihre kalten Herzen zu bestrafen. Der ihnen alles nimmt und es selber frisst. Der sie zermalmt und zerreißt und zerfetzt und auf den Resten ihrer geschundenen Leiber tanzt und der – Namakans Beine wurden ein, zwei Schritte schwer wie Blei, und er geriet ins Straucheln. Nein!
Morritbi stützte ihn. »Alles in Ordnung?«
Er nickte stumm, eine wortlose Lüge. Nichts ist in Ordnung. Nicht, solange ich dieses … dieses Ding auf meinem Rücken schleppe. Nicht, solange ich noch den Ruf der Kette höre. Verflucht, warum habe ich es nicht einfach dort unten im Dunkeln gelassen, dort, wo es hingehört? Es wäre so einfach gewesen. Bei der ganzen Aufregung mit den Rattenfressern hätte es nicht einmal der Meister bemerkt, wenn ich mein ganzes Bündel einfach fortgeworfen hätte … dann hätte ich meine Ruhe davor. Eine süße und dennoch warnende Stimme erfüllte seinen Geist mit ihrem Flüstern, und er erschrak darüber, dass es nicht die Kette war, die da zu ihm sprach, sondern ein boshafter Teil seines eigenen Verstands. Sehn dich
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