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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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sowohl die tapfere Hexe als auch ihren Vater.
    Namakan hastete weiter, stolperte über den verbrannten Leib eines Skra Gul, rappelte sich auf und – sah die Hexe!
    Sie lag zwanzig Schritte vor ihm in der dünnen Schicht aus schwarzem Matsch, die sich auf dem Platz gebildet hatte. Sie wirkte trotz der Liebkosung ihres Vaters unversehrt, aber von ihrem ausgestreckten Körper stiegen weiße Fähnchen aus Dampf auf. Die einzig verbliebene Spur des Feuergeists war ein langer Streifen, wo der Boden zu glattem Glas geschmolzen war. Der Streifen endete wie abgeschnitten unmittelbar an der Kante des Kais.
    »Morritbi!«
    Er ließ sich neben sie fallen, fasste mit beiden Händen nach ihrem Gesicht und riss sie gleich wieder schreiend zurück. Sie ist glühendheiß!
    Seine Sinne spielten ihm keinen Streich. Wo der Regen ihr ins Gesicht prasselte, verwandelte er sich unter leisem Zischen in Dampf. Ich kann sie hier nicht so liegenlassen!
    Dann kam ihm der rettende Einfall. Er streifte seinen durchtränkten Mantel ab, breitete ihn über ihr aus und wickelte sie vorsichtig darin ein. Selbst durch den Samt war ihre Hitze zu spüren, wie glühende Kohlen, die man in einen Sack geschüttet hatte. Er biss die Zähne zusammen, nahm das Bündel auf seine Arme und wankte dorthin, wo er glaubte, die anderen Wanderer zuletzt gesehen zu haben.
    Der Regen wurde mit jedem Schritt kälter, wie wenn er nicht frei vom Himmel fiel, sondern sich einen langen Weg durch eisige Winde zu bahnen hatte. Als Namakan endlich glaubte, irgendwo vor sich Eisarns Gejammer zu hören, schritt er nicht länger durch einen Schauer. Um ihn herum führte Schnee einen wirbelnden Totentanz auf, einen Totentanz für seinen verlorenen Meister.

31
    Auf rauschenden Schwingen voran, in den Ruhm und in den Tod, für König und Vaterland!
    Leitspruch der Tristborner Falkenreiter
    Die Flucht vom Platz vor der Bastion des Weißen Windes erlebte Namakan als eine zerhackte Folge von Eindrücken, die nicht so recht den Weg in seinen bewussten Verstand fanden. Sein Blick auf die Welt verengte sich, zu groß war seine innere Erschöpfung, zu gewaltig die Sorge um seinen Meister und um Morritbi.
    Er bekam kaum mit, dass sich Eisarn eines herrenlosen Fuhrwerks bemächtigte. Die Ladefläche bot – zwischen Säcken mit Korn und scharf nach Essig stinkenden Fässern mit eingelegtem Gemüse – ausreichend Platz für Dalarr und Morritbi. Namakan kauerte auf den Knien zwischen ihnen, während sich die anderen auf dem Kutschbock zusammenzwängten.
    Peitschenknallend und fluchend lenkte der Zwerg das von zwei stämmigen Kaltblütern gezogene Gefährt durch die engen Straßen des Hafenviertels. Vorbei an brennenden Häusern und schreienden Menschen, durch den Rauch und die Hitze. Einmal durchbrachen sie eine Löschkette, die besonnene Anwohner gebildet hatten, um der wütenden Feuersbrunst mit Wassereimern entgegenzutreten. Wäre der Regen nicht gewesen, hätten sie den Kampf womöglich bereits verloren.
    »Fahr da rechts! Rechts!«, hörte Namakan Ammorna irgendwann auf der wilden Fahrt keifen.
    Es scherte ihn nicht, wohin die Kroka-Dienerin sie führte. Sein Blick huschte zwischen dem bleichen Gesicht Morritbis und dem noch bleicheren Dalarrs hin und her. Habe ich sie beide verloren? Sein Meister blutete nicht mehr. Wahrscheinlich weil kein Tropfen mehr in ihm ist.
    Nach einer Weile – War sie lang? War sie kurz? – ging es bergauf, dann hielt der Wagen kurz an, und Namakan hörte wie aus weiter Ferne erst fremde Stimmen, barsch vor Aufregung, und dann wieder das heisere Krächzen Ammornas. »Schafft euch fort, ihr Affen! Ich will zu Kusk!«
    Wer immer Kusk war, die Nennung seines Namens, reichte offenbar aus, ihnen den Weg freizumachen. Das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung. Hufschlag und Räderknarren hallten kurz dumpf von den Wänden eines Torbogens wider.
    Namakan beugte sich dicht über Morritbis Gesicht. Ihr Untrennbaren, bitte nehmt sie mir nicht weg. Bitte. Bitte. Morritbis schwacher Atem wehte ihm entgegen, so warm wie die Flamme einer Kerze. Er hielt die Ungewissheit nicht mehr aus. Er packte Morritbi durch den Samt seines Umhangs an den Schultern und schüttelte sie. »Wach auf! Wach auf!«
    Und tatsächlich: Morritbi begann sich zu regen, kämpfte schwach gegen die sanfte Umklammerung des Umhangs an. Erleichtert presste Namakan seine Lippen auf ihre Stirn. Er achtete nicht auf den brennenden Schmerz. Er hatte sie wieder.
    »Ist er … ist er fort?« Die Worte krochen

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