Heldenwinter
die Augen und rührte sich nicht mehr.
»Meister!« Namakan rüttelte an ihm. »Meister!«
In Namakan öffnete sich ein gähnender Abgrund. Er ist tot! Er ist tot!
»Komm, Junge!« Namakan fühlte eine schwere Hand auf seiner Schulter. »Wir müssen hier weg.«
Eisarn packte Namakans Kapuze und zog ihn daran auf die Beine.
»Ich lasse ihn nicht hier!«, schrie Namakan. »Ich lasse ihn nicht hier.«
»Gut, gut!« Eisarn ließ ihn los. »Kjell, fass mit an!«
Aus den beißenden Rauchschwaden, die nun dicht über dem Platz hingen, tauchte der Graf ohne Land auf, das Schwert gezogen, als ließe sich ein Feuer von einer Klinge beeindrucken. Oder gar ein Feuergeist.
Er ist ihr Vater …
»Morritbi!« Namakan irrte zwei Schritte in die eine, zwei in die andere Richtung. »Morritbi!«
»Hier!«
Sie kam auf ihn zugerannt, den Rock ihres Kleids gerafft, ihr Haar so rot wie die Flammen, die ihr Vater waren.
Namakan kämpfte den Drang, sie in die Arme zu schließen, nieder, und redete auf sie ein. »Du musst ihn aufhalten, Morritbi. Du musst. Er ist dein Vater. Geh zu ihm. Geh zu ihm!«
»Er ist viel zu zornig.« Morritbi klang auf einmal wie ein verschüchtertes Mädchen, das etwas Schlimmes angestellt hatte. »Er wird nie auf mich hören.«
»Er ist dein Vater«, beteuerte Namakan. »Er liebt dich.«
Sie sah ihn an – furchtsam und traurig. »Ich hätte in meinem Wald bleiben sollen.« Dann raffte sie wieder ihr Kleid und ging zaghaft auf den riesigen Feuergeist zu.
»Komm jetzt, Junge, verflucht!«, brüllte Eisarn. Er und Kjell hatten Dalarr mittlerweile ein Stück weit von der Stelle fortgeschleift, an der ihn Waldur niedergestreckt hatte. »Wenn sie unbedingt in ihr Verderben gehen will, ist das ihre Sache.«
Namakan fühlte etwas Nasses, Kaltes in seinem Gesicht. Ein winziger Tropfen … Regen! Waldurs Zeichen! Es regnet! Noch während er in den Himmel hinaufschaute, wurde aus dem feinen Tröpfeln ein prasselnder Platzregen. Namakan riss die Arme in die Luft. Regen! Wir werden doch nicht verbrennen! Er fuhr zu Eisarn und Kjell herum, doch sein Lachen blieb ihm im Halse stecken, als er seinen Meister reglos und blutend zwischen den Schultern der beiden Helfer hängen sah. Dalarrs Beine schleiften hinter ihm her, der Kopf baumelte ihm vor der Brust. Er ist tot …
Ein helles Zischen wie von Dampf aus den Erdspalten auf den Almen ließ ihn an die denken, die ihm noch geblieben war und die er vielleicht in den Tod geschickt hatte. Er kämpfte sich hustend durch den Rauch und den Regen in die Richtung voran, in der Morritbi verschwunden war, immer auf das Lodern des Feuergeists zu. Er rief ihren Namen, doch sie antwortete ihm nicht.
Rauch brannte ihm in den Augen. Er blieb einen kurzen Moment stehen, um sich mit dem Hemdsärmel die Tränen von den Wangen zu wischen. Als er wieder klarer sah, bemerkte er, dass sich die Feuersäule bewegte. Nicht sprunghaft und mal hierhin, mal dorthin huschend wie eben noch. Die Säule wanderte nun langsam, aber zielstrebig in einer geraden Linie in die Richtung, in der Namakan das Hafenbecken vermutete.
Warum macht er das? Eben sah es noch so aus, als wollte er die ganze Stadt anzünden, und jetzt …
Durch den Rauch erkannte Namakan am Fuß der Säule eine Gestalt, die verglichen mit dem Feuergeist winzig war: Morritbi hatte die Hände gehoben wie ein Kind, das um einen Gefallen bittet, und ging dabei langsam rückwärts. Und ihr Vater folgte ihr, die runde Flammenkugel seines Hauptes tief gesenkt.
Was hat sie vor? Wo will sie mit ihm hin?
Der prasselnde Regen zwang einen weiteren Rauchschleier zu Boden und gab den Blick auf das vom Schauer aufgewühlte Hafenbecken in Morritbis Rücken frei. Sie lockt ihn ins Wasser , verstand Namakan. Nein, es ist kein Locken. Es ist keine hinterhältige List. Sie bittet ihn, ins Wasser zu gehen.
Morritbi drehte sich zur Seite, deutete auf das Becken und hob dann wieder flehentlich die Arme. Sie erweichte das feurige Herz ihres Vaters: Der Fuß der lodernden Säule glitt über die Kante der Hafenmauer. In einer grausam-zärtlichen Geste strich einer der vielen Arme des Geists über Morritbis Kopf, und Namakan stockte das Blut in den Adern. Er verbrennt sie!
Das Wasser im Hafenbecken brodelte unter der Berührung des Feuergeists, der seinen Zorn aus Liebe zu seiner Tochter zu löschen versuchte. Es zerstob unter einem lauten Zischen zu einer Wolke aus kochendem Dampf. Binnen eines einzigen Wimpernschlags verschluckte die Wolke
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