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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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der einmal am steilen Rand der Narbe gestanden und vorher von dieser Sage erfahren hatte, konnte sich kaum dagegen wehren, dass das Bild eines vom Himmel herabfahrenden Axtblatts vor seinem inneren Auge auftauchte.
    Das Talvolk hatte großen Nutzen aus dieser göttlichen Zornestat gezogen, denn so war seine Heimat über Generationen hinweg vor den Machtgelüsten der großen Menschen weitgehend sicher gewesen. Abgesehen davon, dass eine Eroberung der abgelegenen Hochtäler keinem der angrenzenden Reiche einen strategischen Vorteil im Ringen um die Vorherrschaft auf dem Kontinent erbracht hätte, gab es nur eine einzige Brücke, über die man eine Armee hätte führen können. Und die Idee, einem Heer zu befehlen, die steilen Wände der Narbe bis auf ihren von Nebeln verborgenen Grund hinab- und auf der anderen Seite wieder hinaufzuklettern, war bislang nicht einmal dem wahnsinnigsten König gekommen.
    Die Halblinge vom Talvolk schätzten ihre Unantastbarkeit, und insofern war es verständlich, dass die Wache von Brückheim zu verzweifelten Maßnahmen gegriffen hatte, um ihre Freiheit gegen die mordende Horde unter der Führung des Kriegers in Weiß zu verteidigen. Der von der Wache rasch gefasste Plan hatte sämtliche Bewohner an die Brücke gelockt, durch deren in aufgeregtes Geplapper verfallene Reihen sich Dalarr und Namakan nun einen Weg bahnten.
    Aufgrund seines Wuchses fiel es dem großen Menschen leicht, die Zuschauer des Spektakels, das sich auf der Brücke abspielte, beiseite zu drängen. Er pflügte einfach durch sie hindurch wie ein Bulle durch eine Schafherde, und Namakan folgte der Spur, die sein Meister zog. Anfangs murmelte er noch Entschuldigungen, wenn Dalarr jemanden um ein Haar umstieß, aber er erkannte schnell, dass die Brückheimer zu aufgebracht waren, um seine Höflichkeit überhaupt zu bemerken. Wo starren sie nur alle hin wie die Ochsen?
    Der Grund dafür offenbarte sich ihm, als er ganz nach vorne an den Rand der Menge vorgedrungen war: Auf der Brücke schubste eine Gruppe von großen Menschen einen Obristen der Wache zwischen sich hin und her. Sowohl seine fasanenfedergeschmückte Dienstmütze als auch seine Hellebarde hatte er bereits eingebüßt, und jetzt begann einer der Grobiane ihm hämisch lachend den gefältelten Kragen der Uniform zu zerreißen. Die großen Menschen ärgerten sich offenkundig über eine Barriere aus Strohballen, die in der Mitte der Brücke – gute 25 Schritt entfernt – errichtet worden war.
    Während Dalarr ruhig seinen Rucksack absetzte und seinen Umhang abstreifte, fragte Namakan einen der Umstehenden: »Was ist da los?«
    Der angesprochene Halbling – ein rotwangiger Händler, der eine Kiepe auf dem Rücken und einen Bauchladen mit Dutzenden winziger Schublädchen vor dem Wanst trug – antwortete ihm: »Sie wollen ihn zwingen, dass er und seine Leute das Stroh wieder von der Brücke räumen.«
    Der Händler meinte sowohl die Barriere als auch die zahllosen Ballen, die entlang des Brückengeländers auf beiden Seiten aufgeschichtet waren. Die Alte hat die Wahrheit gesagt, dachte Namakan. Die Wache will wirklich die Brücke abbrennen.
    Die Kameraden des Drangsalierten standen am Rand der Brücke beisammen, die Hellebarden gesenkt und eine Mischung aus Unentschlossenheit und Entsetzen auf den Gesichtern.
    Namakan konnte ihnen ihre Angst nicht verdenken: Die großen Menschen, die da drüben ihren Vorgesetzten quälten, waren furchterregende Gestalten. Ihre schweren Stiefel, unter denen sich gewiss mühelos ein Schädel zermalmen ließ, polterten laut auf den Holzbohlen der Brücke. Die riesigen Waffen in Wehrgehängen an ihren Hüften – Morgensterne, Streitkolben und Beile – schienen nur darauf zu lauern, dass ihre Besitzer endlich Gebrauch von ihnen machten. Die Ringe der Kettenhemden, die sie trugen, klirrten bei jedem Schritt. So sehen also Mörder aus …
    Die versammelte Menge geriet in noch stärkeren Aufruhr, als die Lage sich jäh verschlimmerte. Einer der großen Menschen, dem eine verfilzte Mähne aus schmutzigbraunem Haar um den Kopf wucherte, schleuderte den Obristen zu Boden und packte ihn an den nackten Knöcheln, um ihn über das Brückengeländer zu halten. Der Obrist, der unter sich nichts als einen Sturz ins Leere wusste, fing an, sich zu winden und herzerweichend um Gnade zu betteln.
    Dalarr straffte die Schultern und trat auf die Brücke. »Lasst ihn in Ruhe, ihr Missgeburten!«, rief er drohend.
    Gespanntes Schweigen legte sich über

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