Heldenwinter
dessen Pfoten rechts und links über die Beine der Alten baumelten, war so groß, dass es seiner Besitzerin als lebender Ersatz für eine kuschelige Decke diente.
Dalarr hob grüßend die Hand. »Wir werden sehen, ob es ein richtiger Krieg wird.« Er schlug sich auf seinen blauschwarzen Brustpanzer. »Für den Anfang soll mir eine Schlacht genügen.«
Die Alte sog an ihrem Rauchkolben und nickte mit dem faltigen Kinn, aus dem lange, weiße Haare sprossen, in Namakans Richtung. »Und diese dicke Knoddel soll dein Schildknecht sein, oder was?«
»Siehst du an mir irgendwo einen Schild?«, gab Dalarr achselzuckend zurück.
»Ich bin bei ihm in der Lehre«, protestierte Namakan. Diese alte Hexe!
»Und was hast du bis jetzt gelernt? Apfelkerne durch die Gegend spucken?« Die Greisin lachte laut über ihren eigenen Scherz, und ihre Katze hob den Kopf, um sie vorwurfsvoll anzumaunzen.
»Sag an, gute Frau, wo ist der ganze Rest von euch abgeblieben?«, wollte Dalarr wissen.
»Sie sind alle zur Brücke gelaufen.« Sie zeigte die Straße hinunter. »Wegen des Ärgers mit den großen Menschen.«
»Große Menschen?« Namakan horchte auf.
»Die großen Menschen, die gestern Morgen hier in aller Frühe durchgeritten kamen«, nuschelte die Alte um ihre Pfeife herum. »Ein ganzer Trupp. Fünfzehn, zwanzig Mann. Mit Drachenbannern. Ich habe sie gesehen, da vom Fenster aus. Ich dachte eigentlich, ich wäre hinter dem Vorhang gut versteckt, aber da hatte ich mich geschnitten.« Sie nahm ihre Rauchkeule aus dem Mund. »Ihr Anführer hat mich gesehen, und ich schwöre euch beim Bauch meines Mannes – möge er sich noch lange im Haus der Fülle die Wampe vollschlagen –, er hatte Augen wie Eis. Alles an ihm wirkte kalt. Seine Rüstung, weiß wie Schnee, und seine …«
»Eine schneeweiße Rüstung?«, unterbrach sie Dalarr. Sein spöttischer Ton war einer schneidenden Schärfe gewichen. »Bist du sicher?«
»Ich bin fußlahm, aber nicht blind.« Die Greisin schnaubte. »Unerhört. Natürlich war die Rüstung weiß. Wie sein Helm und wie sein Pferd.«
»Waldur«, grollte Dalarr und ballte die Fäuste.
Namakan stutzte. Hat der Meister gestern Abend am Feuer nicht noch erzählt, Waldur sei ein Freund von ihm gewesen? Aus der Zeit, in der er jenseits der Berge gelebt hatte? Wie auch immer … sie sind hier gewesen! Die Mörder sind tatsächlich hier gewesen! Namakans Herz schlug schneller, und sein Blut wurde kalt wie Gletscherwasser.
»Welchen Ärger haben sie euch bereitet?«, fragte Dalarr die Alte.
»Milinika hat von Garbowa gehört, dass Piwowa gesehen hat, wie die Reiter zwei Jungen von der Wache in Stücke gehauen haben, als die beiden dummen Welpen sie beim Überqueren der Brücke aufhalten wollten. Was für eine Verschwendung!« Sie krallte die Hände fest ins Fell der Katze, die sich diesem groben Umgang durch ein Fauchen und einen Satz in ein Kräuterbeet entzog. »Manche Dinge lassen sich eben nicht aufhalten, und schon gar keine schwerbewaffneten großen Menschen auf riesigen Pferden. Es heißt ja nicht umsonst, feige Krieger werden alte Krieger.«
»Ich bin jünger, als ich aussehe«, warf Dalarr ein.
»Und gestern Abend kamen sie noch mal«, fuhr die Alte fort. »Wenigstens musste da niemand den Helden spielen.« Sie schüttelte den Kopf. »Bin ich froh, dass mein Mann nicht mehr miterlebt, wie die großen Menschen doch noch versuchen, die Almen zu erobern.«
»Sie sind noch hier?« In Namakan keimte die Hoffnung auf, dass der Pfad der Rache womöglich schneller beschritten würde, als er oder sein Meister es je vermutet hätten. »In Brückheim?«
»Garbowa meint, eine Handvoll von ihnen hätte auf der anderen Seite der Narbe ihr Lager aufgeschlagen«, sagte die Greisin. »Das ist doch gerade der Ärger. Deshalb ist ja außer mir keiner mehr hier. Keiner will es verpassen.«
»Was will keiner verpassen?«
Ihre nächsten Worte bereiteten Namakans eben erst geborener Hoffnung ein Ende mit Schrecken. »Na was wohl? Wenn die Wache die Brücke abfackelt, damit keiner dieser Schlächter mehr einen Fuß auf die Almen setzen kann.«
Die Breitbrücke spannte sich über eine Schlucht, um die sich eine Entstehungslegende rankte, die man sich überall auf den Immergrünen Almen erzählte: Die Narbe, so hieß es, war von einem der vielen Götter der großen Menschen geschaffen worden, als er in Streit mit seinen zahlreichen Geschwistern verfiel und versuchte, durch einen Hieb seiner Axt die Welt zu spalten. Jeder,
Weitere Kostenlose Bücher