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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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anderen krabbelten die Wanderer hastig aus der Enge des lädierten Korbs, ohne einen Gedanken an ihr Gepäck zu vergeuden. Wozu auch? Kluvitfrost würde so oder so die letzte Station ihrer Reise sein.
    Namakan, der gleich nach Morritbi ins Freie gelangte, bemerkte sofort, was den Korb davor bewahrt hatte, nach ihrem Absturz auf den Hang bis hinunter zum Grund des Passes zu kugeln: Die Brüstung eines der Wehrgänge hatte ihn gebremst.
    Ein Stück den Gang hinunter schauten einige Tristborner Bogenschützen verwirrt zu ihnen herüber. Ihr Obrist fuhr die Schützen an, und sie legten eilig neue Pfeile auf, um das fortzusetzen, was das Erscheinen der vom Himmel herabgefallenen Wanderer kurz unterbrochen hatte: Sie schossen durch die Lücken in den Zinnen nach unten.
    Natürlich. Sie greifen uns nicht an. Wieso auch? Wir sehen nicht aus wie Barbaren, und diese Leute wissen nicht, dass wir ihren König erschlagen wollen. Außerdem hing unser Korb eben noch an einem Falken. Namakans Erleichterung wich einer kalten Sorge. Der Falke. Wo ist er?
    Namakan rappelte sich auf und spurtete die zwei, drei Schritte über die von Schneematsch rutschigen Steinplatten zur Brüstung. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, zog sich am rauen Mauerwerk in die Höhe und beugte den Kopf über die Kante.
    Nun, da sein Blick nach unten gerichtet war, bestürmte ihn das unerbittliche Wüten der Schlacht im Pass. Niemals war ihm die beschauliche Ruhe der Almen ferner erschienen, und sein Verstand war einen Moment von all den Eindrücken von Leid und Sterben hilflos umzingelt. Es ist alles wie schon einmal. Die Geschichte wiederholt sich. Oder hat die Zeit hier stillgestanden und das Grauen hat nie aufgehört?
    Ein Barbar war von seinem stürzenden Pferd auf eine Palisade geschleudert worden. Die Holzspitze hatte sich ihm durch den Rumpf gebohrt, ohne ihn sofort zu töten. Deshalb versuchte er nun, Halt an dem Pfahl zu finden, der von seinem eigenen Blut glitschig war und an dem er sich trotz all seiner Bemühungen immer weiter aufspießte.
    Ein Trupp Pikeniere, angeführt von einer massigen Frau in vollem Prunkharnisch, wagte sich aus der Deckung eines Grabens heraus. Eine Wolke aus Pfeilen – abgeschossen von Osten her, von dem Tor, das die Pferdestämme überrannt hatten – raste über den Himmel und senkte sich auf die vorrückenden Tristborner. Dann lagen alle Pikeniere im blutigen Matsch, ein Dutzend Leben ausgelöscht in nur einem einzigen Wimpernschlag. Nur die Frau in der Rüstung wankte noch einen Augenblick, ihre gesamte Brust mit einem neuen, tödlichen Putz aus Pfeilgefiedern verziert. Schließlich sank auch sie darnieder.
    Ein feuriger Ball schlug zwischen einer Rotte Barbaren ein und verwandelte sie in schreiende Fackeln.
    Ein einsamer Tristborner Rekrut saß irgendwo zwischen den verworrenen Schlachtreihen breitbeinig da und drückte sein abgehacktes Bein heulend gegen den Stumpf an seinem Oberschenkel.
    Und dort, dort lag der Falke, dicht am Osttor und am Ende einer Schneise, die er in Wälle und Barrikaden gepflügt hatte, auf dem Rücken. Die eine Schwinge war weit ausgebreitet, die andere zu seinem Leib hin angewinkelt, als hätte das gewaltige Tier noch im Sterben versucht, die Flammen zu ersticken, die ihm aus der Brust loderten. Seine Fänge öffneten und schlossen sich, öffneten und schlossen sich. Hok Gammal lag gleich daneben, zerschmettert und regungslos.
    Namakan ahnte, was es mit den großen, unförmigen Klumpen auf sich hatte, die überall im Pass verstreut waren. Die Klumpen, über die die Kämpfer beider Parteien schwärmten wie Ameisen und sie dabei platter und platter traten. Ihr Falke war nicht der Einzige, der vom Himmel geholt worden war. Die Brut in der Nadel wird ihre Eltern nicht wiedersehen …
    »Was war das? Warum brennt der große Vogel?« Tschumilal hakte die Schlaufe ihrer beim Absturz abgesprungenen Sehne wieder in die Kerben an ihrem Bogen ein.
    »Eine Balliste«, knurrte Dalarr.
    »Warum schießen unsere eigenen Leute auf uns?« Kjell hatte sein schartiges Schwert gezogen, obwohl es hier oben keine Feinde gab, auf die er damit hätte einschlagen können. Sein langes Gesicht war kreidebleich. »Warum?«
    »Das waren nicht deine Leute«, sagte Dalarr. Er deutete quer über den Pass zu einem eckigen Wehrturm. Über den Zinnen hüpften die ledernen Rundhelme von Barbarenstreitern auf und ab, wie Korken über den Rand eines Fasses. »Die Herde hat den Turm erobert. Und sie sind nicht so dumm, dass sie

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