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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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sie es bisher getan hatten.
    Unter ihnen lag nun eine Zeltstadt, die es von ihrer Größe her mit der vor den Toren Silvretsodras aufnehmen konnte. Anders als die Flüchtlingsunterkünfte jedoch waren die grüngrauen Zelte der Soldaten hier in ordentlichen Reihen aufgeschlagen. Sie erinnerten Namakan an eine Ansammlung bizarrer Flechten, die aus einer Laune der Natur heraus in völlig geraden Strukturen auf einer Felsplatte wucherten. Vor vielen Zelten saßen Verwundete in kleinen Grüppchen zusammen, und einige von ihnen winkten freudig, als der Schatten des Falken über sie hinwegglitt.
    Der Boden kam näher und näher, da Hok Gammal sein Reittier zur Landung ansetzen ließ, und Namakan konnte immer mehr Einzelheiten ausmachen. Die Wappen der Regimentsbanner auf den Spitzen der Zelte. Das Sprühen der Funken, wo ein Waffenmeister schartige Klingen an einem Schleifstein ausbesserte. Die Rauchfahnen, die von den Kesseln der Feldküchen aufstiegen.
    Dalarr beugte sich über Namakan hinweg aus der Klappe. »Weiter!«, schrie er zu dem Falkenreiter hinauf. »Weiter! Zu den Türmen! Den Türmen im Pass!«
    Die Schwingen des Falken rauschten, und das Tier gewann wieder an Höhe.
    Dann sah Namakan das Osttor der Feste Kluvitfrost, eingezwängt zwischen die Hänge des Kollur Skipta. Die Mauern der Festung waren aus dem grauschwarzen Gestein gemauert, das der Berg den Baumeistern geboten hatte. Sie hatten nichts von der wuchtigen Eleganz der Stadtmauern Silvretsodras. Hier in den Drachenschuppen, an den äußersten Grenzen des Reichs, galt es ja auch keine Besucher aus fernen Provinzen mit dem Prunk einer Hauptstadt zu beeindrucken. Hier galt es nur, Horden von Barbaren daran zu hindern, sich durch das Nadelöhr des Passes auf Tristborner Grund und Boden zu ergießen. Die Mauer mit dem Tor war letztlich nichts anderes als ein hässlicher steinerner Damm.
    Sie waren gerade über die Zinnen gesegelt, da neigte sich der Korb nach rechts, weil der Falke in einer weiten Kurve in den Sinkflug ging. Namakan hörte von unten verwehten Gefechtslärm und erahnte mehr das Gewusel der Schlacht, die dort drunten tobte, als dass er das Hauen und Stechen wirklich wahrnahm. Er glaubte, irgendwo von vorn einen rotgelben, langgezogenen Schemen heranhuschen zu sehen. Was …?
    Ein dumpfes, schmatzendes Knirschen erklang, ein Ruck ging durch den Korb, der Falke schrie.
    Namakan wurde nach hinten gerissen, landete weich auf Morritbis Schenkeln. Er hörte entsetzte Schreie – einer davon vielleicht von ihm –, schon hob es ihn nach oben, er prallte gegen das Korbgeflecht, dann zog es ihn wieder nach unten, in ein Gewirr aus den Köpfen, Armen und Beinen der anderen im Korb. Eine Stiefelhacke schrammte ihm über die Schläfe, sein Kinn stieß gegen eine Schulter. Draußen, vor der wie von Geisterhand auf zu und schlagenden Klappe, wirbelten düstere Wolken und steile Hänge, Himmel und Erde, umeinander.
    Wir fallen! Namakan schrie und schrie. Wir fallen!

33
    Ehre all die, deren Schritte den deinen vorausgegangen sind. Ein längerer Weg bringt größere Weisheit.
    Aus den Lehren des Alten Geschlechts
    Krachend traf der Korb auf einen harten Grund. Zu den Schreien der übereinander purzelnden Wanderer gesellte sich das splitternde Bersten des dünnen Rutengeflechts.
    Doch der Korb wurde durch den Aufprall nicht vollends auseinandergesprengt. Nur eine der Seitenwände dellte sich nach innen und presste die Wanderer noch enger zusammen. Der Korb überschlug sich noch einige Male, ehe er mit einem plötzlichen Ruck liegenblieb und nur noch sanft nachschaukelte.
    Namakans Gesicht war unter kaltem, schwerem Fell begraben. Seine rechte Hand ruhte auf einer weichen, stoffbespannten Wölbung, die viel zu groß war, um Morritbis vertrauter Busen zu sein. In seinen Bauch war ein schmaler Fuß gestemmt. Er hörte erschöpftes, erleichtertes Ächzen von allen Seiten, unter dem das gedämpfte Klirren von Stahl auf Stahl, heisere Schreie, gellende Rufe und panisches Wiehern lagen.
    »Wir leben!«, grunzte Eisarn. »Wir leben! Scheiß mir einer in den Helm! Wir leben!« Der Zwerg stockte. Dicke Finger schlugen nach Namakans Hand. »Nimm deine Pfoten da weg!«
    Namakan gab Eisarns Hintern frei und schob sich Dalarrs Umhang vom Gesicht.
    »Raus!«, keuchte sein Meister. »Raus!«
    Morritbi wand sich unter Namakans Beinen hervor und stieß die Klappe auf. Das späte Licht eines Wintertages fiel in den Korb, und der Schlachtenlärm wurde lauter.
    Einer nach dem

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