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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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gehoben und den Mund halb geöffnet hatte. Einem von der Last der Sommer gebeugten Mann, der über einer spiegelnden Rüstung einen Mantel aus edelstem Purpur trug. Einem grauhaarigen Mann, dessen Stirn von einem über und über mit kostbaren Steinen besetzten Reif geschmückt war.
    Arvid! Ich erkenne sein Gesicht. Aber auf den Statuen ist es jünger. Und edler. Er hat mehr Falten, als Dalarr je hatte, und diese braunen Flecken auf seinen Händen. Ist er krank?
    »Aber er ist vom Talvolk«, sagte der König, die schwache Stimme von Unglauben durchdrungen. »Wie kann er es dann sein?«
    »Guter Mann …« Waldur seufzte enttäuscht. »Ich dachte, ich hätte dir mittlerweile beigebracht, deinen Augen nicht vorbehaltlos zu vertrauen. Ich …«
    Weiter kam er nicht.
    Dalarr stürzte nach vorn, zornig brüllend. Waldur zückte seine Klingen und stellte sich ihm, erwartungsvoll grinsend. Diesmal zwangen die beiden Streiter vom Alten Geschlecht nicht erst dem Wetter ihren Willen auf. Womöglich war ihnen der verhangene Himmel für dieses Duell Kulisse genug.
    Die Tegin hatten beide darauf verzichtet, ihren Getreuen aufzutragen, sich aus ihrem Zwist herauszuhalten, aber die sterblichen Geschöpfe erstarrten für eine Weile von ganz allein. Keine der Welken Blumen rührte sich, als der Dunkle Sturm und der Weiße Wind aufeinandertrafen.
    Der neue Zwist wurde mit der gleichen Härte geführt wie der davor, doch kaum waren die ersten Hiebe und Schläge, die ersten Paraden und Ausweichschritte erfolgt, verstand Namakan, dass dieser Kampf ein ungleicher war: Ein ums andere Mal schaffte es Dalarr nur knapp, sein Langschwert hochzureißen, um Waldurs Dolchstiche abzuwehren.
    Seine Wunde! Die Wunde in der Achsel. Sie ist nicht ganz ausgeheilt. Er ist zu schwach. Zu schwach und zu langsam.
    Auch Waldurs Bewegungen fehlte etwas von ihrer früheren Geschmeidigkeit, und auch er schien seinen linken Arm zu schonen. Doch wenn Tschumilal darauf gehofft hatte, dass es nur einen einzigen Pfeil mit einer Spitze aus schwarzem Skaldat brauchte, um einen Tegin so schrecklich dahinsiechen zu lassen wie ihren Vater, war diese Hoffnung vergebens gewesen.
    Was Namakan ersichtlich war, konnte Waldur nicht verborgen bleiben. »Was hat dich glauben lassen, du könntest es mit mir aufnehmen, hm?«, höhnte er, während er Dalarr mit einer raschen Folge von Ausfällen immer weiter an die Brüstung des Turms drängte. »Du hast zu viel verlernt, mein Freund. Mag sein, dass es dir durch den Gondull hinausgeschossen ist, wenn du bei deinem Weib gelegen hast!«
    Es war ein liederlicher Scherz auf Kosten einer Toten, die Namakan noch mehr geliebt hatte, als er Dalarr liebte. Er reichte aus, damit seine angestaute Wut die Fesseln der Ehrfurcht vor den streitenden Tegin sprengte. Ich bringe ihn um! Dafür bin ich hier! Ich bringe ihn um!
    Namakan zückte seinen Jagddolch – das Sirren des Stahls entlang der Scheide war ihm wie der süßeste Klang – und machte einen Schritt auf die Kämpfer zu. Er spürte einen Widerstand, wurde zurückgerissen und herumgewirbelt, hörte Morritbi einen leisen Laut der Überraschung von sich geben. Dann nahm Arvid sein Gesicht in beide Hände – Kalt! Kalt wie Eis! – und beugte sich so dicht zu ihm hinunter, dass Namakan den sauren Atem des Königs roch.
    »Du bist es«, wisperte Arvid. »Du bist es wirklich. Das Geschenk, das mir meine arme Berguven gemacht hat.« Tränen quollen dem Greis von den Lidern. »Mein Fjarstor, mein Fjarstor … er hat dich mir geraubt … aber du bist … du bist zu mir zurückgekommen …«
    Worauf wartest du noch? Tu es! Stoß ihm den Dolch in den Hals! Er ist genauso an allem schuld wie Waldur! Er muss bezahlen! Er muss! Namakan konnte nicht sagen, wer da in ihm sprach: er selbst oder die Kette. Es scherte ihn nicht. Er schloss die Finger um den Griff seiner Waffe und hielt den Atem an. Gleich … gleich …
    »Dalarr!« Morritbis Schrei – voller Angst und Grauen – brachte Namakan von seinem Vorhaben ab. Er fuhr herum.
    Die Hexe rannte auf die Tegin zu.
    Dalarr lag geschlagen am Boden, Waldur stand über ihm und schien sich zu fragen, ob er den Todesstoß mit dem Dolch oder lieber doch mit seinem Langschwert ansetzen sollte. Wieder war Dalarrs Stirn blutig. Hatte die alte Wunde sich wieder geöffnet, oder hatte sich Waldur einen Spaß daraus gemacht, eine neue an der gleichen Stelle anzubringen? Es war ein Rätsel, für das Namakan nie eine Lösung finden sollte.
    »Lass ihn in

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