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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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wiederholte. Danach versetzte er dem wimmernden König einen barschen Stoß in den Rücken, der den Alten zu Fall brachte. Mit Tritten in den Hintern scheuchte er Arvid bis unmittelbar vor das Gerüst mit der Leiche des jungen Trommlers. »Heb sie auf!«, knurrte er.
    Morritbi erhob sich, lautlos wie eine Katze. Das Feuer in ihren Augen umspielte ihre Brauen, ohne sie zu verbrennen.
    Meine Hexe … die Tochter eines Feuergeists … deshalb hat er sie berührt …
    Arvid griff winselnd nach den Ketten.
    Die erschütternde Empfindung, die Dalarr auf dem Flug mit dem Falken in Worte zu kleiden versucht hatte, packte Namakan und schnürte ihm die Luft ab. Es war die Verbitterung eines Bauern, der vor seinem verdorrten Feld stand. Die Verzweiflung einer Mutter, die ein totgeborenes Kind an ihre Brust hielt. Der Hunger eines Eingemauerten, der seine eigenen Finger fraß. Es war der üble Hauch aus den tausend Schlünden des Plagenvaters, der durch Namakans Seele wehte.
    Die Schreie, die aus dem Pass zur Spitze des Turms hinauf hallten, gewannen eine neue, andere Kraft. Sie waren nicht mehr nur aus Schmerz und Kampfeslust geboren. Nun waren es die Schreie von Gefangenen im Reich eines finsteren Dämons, in dem Leben und Tod eins geworden waren.
    Auch Arvid hörte diese Schreie, und er warf sich wild hin und her, die blutigen Hände um die Glieder der Kette gekrallt. Geifer sprühte ihm von den Lippen, und von seinen Augen war nur noch das Weiße zu sehen. Der tote Trommler zuckte, als würde er zu einem irrsinnigen Takt tanzen, den ein anderer, ein fallsüchtiger Vertreter seiner Zunft schlug.
    Der Krieger in Weiß legte den Kopf in den Nacken und lachte und lachte und lachte.
    »Waldur!«, schrie Morritbi, die wankend auf ihn zuging.
    Der Tegin drehte sich zu ihr um, und Namakan bemerkte, wie ihm der Anblick der Hexe mit den brennenden Augen die Heiterkeit austrieb.
    »Mein Vater hat dir etwas auszurichten!«, rief Morritbi. »Brenne!«
    Sie riss den Mund weit auf und spie Waldur einen fauchenden Strahl grellen Feuers entgegen.
    Der Krieger in Weiß zog sein Schwert, doch dies war ein Gegner, dessen Angriff mit weißem Skaldat nicht zu parieren war. Der Strahl schien kein Ende zu nehmen – ganz so, als springe die unerschöpfliche feurige Flut aus dem Bauch der Erde selbst aus Morritbis Mund. Wie eine Schlange mit roten und gelben Schuppen wand sich das Feuer um Waldurs Leib. Waldur brüllte und tobte. Sein Haar stand in Flammen, seine Rüstung schmolz wie Wachs. Er taumelte erst in die eine, dann in die andere Richtung, warf seine Klingen von sich, stürzte und wälzte sich auf dem Boden.
    Der Geruch, der zu Namakan herüberwehte, war dem einer gebratenen Taube nicht unähnlich, und er schwor sich sofort, nie wieder eine gebratene Taube zu essen, solange er lebte.
    Endlich fuhr der Schweif des Feuers über Morritbis Lippen, doch die Schlange erlosch nicht. Waldurs Kopf war nur noch ein verkohlter Schädel, sein Gesicht eine schwarze Fratze mit eisblauen Augen, und alle Schreie waren ihm ausgebrannt.
    Morritbi kippte vornüber, fing ihren Sturz mehr schlecht als recht ab und brach zusammen.
    Namakan sprang auf die Beine und hastete zu ihr. Er drehte sie auf den Rücken. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Züge friedlich, als schliefe sie und träumte einen wunderschönen Traum. Namakan überschüttete ihre Stirn mit Küssen. Sie ist ganz kalt! Kälter als Arvids Hände! O bitte wach auf, wach auf!
    »Namakan …« Der Ruf war schwach, aber seine lange Lehre hatte Namakan dazu gebracht, auf die leisesten Äußerungen dieser Stimme zu achten. »Namakan … die Kette …«
    Namakan meinte mehr zu spüren als zu hören, wie Morritbi unter ihm leise stöhnte. Er vertraute seinem Gefühl. Er musste ihm vertrauen, wenn er dem Grauen, das Waldur ein zweites Mal in Kluvitfrost erweckt hatte, ein Ende machen wollte. Die Kette! Ich muss die Kette vernichten. Aber womit?
    Seine Blicke huschten von Arvids Händen zum zuckenden Trommler und von dort zu den Waffen, die Waldur Dalarr aus den Händen geschlagen hatte. Blotuwakar! Er rannte zu dem Langschwert, nahm es auf und ließ es sofort wieder fallen. Nein! Schwarzes Skaldat! Die Kette ist aus schwarzem Skaldat!
    All die Sommer, die er neben Dalarr in der Schmiede gestanden hatte und die ihm auf seiner Reise bislang wie vergeudet vorgekommen waren, zahlten sich nun aus. Skaldat ruft nach Skaldat, aber manchmal rufen sie einander nur, um zu streiten. Weißes! Ich brauche

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