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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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die verbliebene Glut des Feuers zu löschen.
    Namakan hatte Mühe, mit seinem Meister Schritt zu halten. Seine zunehmend schlechte Laune war nicht nur dem Genuss von zu viel Pflaumenwein geschuldet. Das Gelände wurde seit einiger Zeit schon unwegsamer: Die Sträucher und Büsche des Unterholzes bildeten immer dichtere Hecken, an denen man sich Kratzer an den Händen und im Gesicht holte. Ständig mussten sie über die Stämme umgestürzter Bäume hinwegklettern, von Pilzen und Moos glitschige Barrieren, die nach Moder stanken und deren äußerste Schicht sich in feuchte Splitter auflöste. Zu allem Überfluss stieg der Untergrund nun auch recht steil an, an einigen Stellen sogar so sehr, dass sich Namakan an Wurzeln oder aus dem Boden ragenden Steinen den bewaldeten Hang hinauf ziehen musste.
    Dalarr kannte jedoch keine Rücksicht. Er scherte sich weder um Namakans stillen Protest in Form eines immer lauter werdenden Keuchens noch um Wikowars unablässiges Gejammer. Der große Mensch bewegte sich zielstrebig wie ein Raubtier, das die Witterung seiner Beute aufgenommen hatte und sich von nichts und niemandem davon abbringen lassen würde, es nun auch zur Strecke zu bringen.
    Völlig unvermittelt blieb Dalarr stehen. Namakan prallte höchst unsanft gegen seinen Rücken.
    »Da«, sagte Dalarr nur. »Da hast du deinen Tod.«
    Das, was er meinte, hing ungefähr in seiner Augenhöhe in einer Astgabel. Es war der Hinterlauf eines Huftiers, aber es war zu wenig vom Fell zu sehen, um genau zu sagen, ob er einmal zu einer Gemse oder einem Steinbock gehört hatte. Bis auf den Huf selbst und das andere Ende, das offenbar glatt aus dem Gelenk gerissen worden war, war der Lauf von einem Gespinst aus grausilbrigen Fäden bedeckt. Wie eine Garnrolle aus Fleisch und Knochen …
    Dort, wo die Muskeln und Sehnen aus der grässlichen Wunde hingen, wehten zwei, drei der Fäden im verhaltenen Wind, der seinen Weg von der Narbe durch die Bäume fand. Sie waren so fein, dass Namakan die Augen zusammenkneifen musste, um sie genau zu erkennen. Sie winken … sie tanzen … sie glitzern … so schön … so schön …
    Ein jäher Schmerz in seinem Handrücken und Dalarrs gezischtes »Nicht anfassen!« brachten ihn zur Besinnung.
    »Sind das … das sind …«, stammelte Wikowar.
    »Genau.« Dalarr brach einen Zweig von einem Busch ab. »Spinnfäden.«
    Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich unter Namakans gesamter Haut aus – auf seinem Kopf, auf seinen Schultern, an den Beinen, selbst unter den Achseln und in seinem Schritt. Ich hasse Spinnen!
    »Bei der drallen Titte der Untrennbaren«, flüsterte Wikowar. »Wie viele von den Viechern sind das gewesen? Wie viele braucht es, um einen Bock einzuspinnen?«
    »Nur eine, wenn sie groß genug ist«, erwiderte Dalarr. Er wies mit dem Zweig nach rechts, wo eine Spur aus geknickten Ästen und plattgetretenen Farnen zur Narbe führte. »Und viele aus ihrer Brut sind allemal groß genug dafür, wie du siehst.«
    »Wer ist sie ?«, wollte der Händler wissen, dessen sonst so rosige Backen weiß wie Schneebälle waren.
    »Die, der wir hoffentlich nicht begegnen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt«, antwortete Dalarr.
    Namakan überwand mühsam seinen lähmenden Ekel. »Eine einzige Spinne hat das getan?«
    »Ganz recht. Und sie wird sich ärgern, dass sie so einen Leckerbissen versehentlich in einem Baum hat hängen lassen. Hier.« Dalarr drückte Namakan den Zweig in die Hand, den er abgebrochen hatte.
    »Was soll ich damit, Meister?«
    »Einen der Fäden berühren.«
    Namakan schluckte. Er hielt den Zweig vorsichtig wie einen brennenden Span zwischen seinen Fingern und stellte fest, dass sich das Zittern in ihnen auf die Spitze übertrug. Nach einem tiefen Atemzug, um sich innerlich gegen die hypnotische Wirkung des glitzernden Fadens zu wappnen, kniff er wieder die Augen zusammen und hob den Zweig. Die Spitze war noch eine ganze Handbreit von den Fäden entfernt, als die hauchdünnen Stränge des Gespinsts ihren Tanz einstellten. Sie strafften sich lauernd und zuckten kurz auf, ehe sie sich blitzschnell um das Holz schlangen, als besäßen sie einen eigenen, gierigen Willen.
    »Meister!«, schrie Namakan überrascht auf.
    »Da brat mir einer meine Wurst, aber schön knusprig bitte«, ächzte Wikowar.
    »Lass gut sein«, wies Dalarr seinen Schüler an.
    Das brauchst du mir nicht zweimal zu sagen. Kaum löste Namakan den Griff um den Zweig, zogen die Fäden sich zusammen und begannen, sich um

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