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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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mir …«, setzte Namakan an, doch seine Zunge lag ihm schwer und träge im Mund wie eine dicke Raupe.
    »Was haben die zu bedeuten?« Wikowar lenkte Dalarrs Aufmerksamkeit auf sich. Der Händler hockte neben den glimmenden Resten des Lagerfeuers und machte keinerlei Anstalten, irgendwelche Waschungen an sich vorzunehmen. Er war nach wie vor in seine Decke gemummelt, aus der er auch jetzt nicht mehr hervorgestreckt hatte als einen einzelnen Finger, mit dem er auf Dalarrs Rücken deutete. »Deine Hautschriften. Warum hast du die?«
    Dalarr sah an sich herunter, auf die Linien und Wirbel, die ihm auf seiner Brust in die Haut geschrieben waren. Die Male hatten das blasse Graublau eines Winterhimmels, und ihre Form ließ grob erahnen, dass ihre verschlungenen Verästelungen keinen zufälligen Bahnen folgten. »Sie sind nichts Besonderes. Bei den Leuten, unter denen ich aufgewachsen bin, trägt sie jeder.«
    Namakan nahm die Arme aus dem Bach und trocknete sie sich an seinem Umhang ab.
    Dalarr wandte sich zu Wikowar um, ging einige Schritte auf den Händler zu und legte die Hand auf eines der Male, das unmittelbar über seinem Herzen lag. »Dieses Zeichen, das Negg Jonar, bezeugt vor der ganzen Welt, dass ich ein Mensch bin, kein Tier. Dass ich fühle, denke und handle, weil meinem Fleisch ein Geist innewohnt, der es antreibt.« Seine Finger wanderten unter seine rechte Brustwarze. »Diese Reihe von Wellen und Wogen steht für meine Atti Barmi, die Brüder und Freunde meines Vaters, die für den Namen meines Blutes einstanden, als meine Familie mich in die Freiheit entließ.« Seine Hand glitt quer zur anderen Seite seines Rumpfs. »Diese Zeichen zeigen meine Eida Jidis, die Schwestern und Freundinnen meiner Mutter, die ihr Wort gaben, dass ich aus ihrem Schoß gekommen bin.« Als Nächstes zeigte er auf eine Spur von Linien, die unter seinem Bauchnabel begannen und hinter dem Bund seiner Hose verschwanden. »Hier trage ich Tagarot, die Wurzel meines Geschlechts, die in die Zeit zurückweist, als die Zeit selbst noch jung war.« Seine Stimme nahm kurz einen spöttischen Tonfall an. »Und ja, das Mal reicht hinunter bis zu meinem Gondull, aber dass ich dir den zeige, dafür kennen wir uns noch nicht gut genug.« Er wurde umgehend wieder ernst und fasste sich an das vielspeichige Rad – vielleicht war es auch ein Stern –, das die Stelle zierte, an der sich seine Schlüsselbeine trafen. »Das hier sagt denen, die es wissen sollen, dass ich das Galin Run in mir berge, das alte Wissen über die Kräfte, die alles Sein zusammenhalten und die sich nur dem stärksten Willen beugen.«
    Dalarr drehte sich um, doch er hatte seine Ausführungen noch nicht beendet. Er beugte sich ein Stück nach vorn und verdrehte einen gehobenen Arm so, dass er mit den Fingerspitzen zwischen seine Schulterblätter tippen konnte. »Dieses Geweih, das Hirindur, schützt mich vor Unbill, die sich mir in meinem Rücken nähert. Und das Geschöpf, das solch ein Geweih trägt, gab mir meinen Namen. Dalarr. Und ich bin, was mein Name ist: stark, frei und mein eigener König.«
    Dalarrs Blick bohrte sich in den seines Schülers. Namakan lief ein Schauer über den Rücken, der noch kälter war als das Wasser, mit dem er sich so notdürftig gewaschen hatte.
    Er redet gar nicht mit Wikowar. Er redet mit mir! Aber warum erklärt er mir jetzt die Zeichen, wo ich ihn früher so oft gefragt habe und er mir nie eine Antwort gegeben hat?
    »So!« Dalarr richtete sich auf, klatschte in die Hände und trottete zu seinem Hemd, das er über einen Ast gehängt hatte. Er streifte es über und reckte das Kinn in Richtung des Händlers. »Und du? Hast du gar nicht vor, auch nur einen Finger ins Wasser zu stecken?«
    Wikowar schlang die Decke noch fester um sich und hielt sie unter seiner Kehle von innen geschlossen wie einen Mantel, den er niemals abzulegen gedachte. »Ich friere doch auch so schon wie ein Schneider.«
    Dalarr zuckte mit den Achseln. »Mir soll es gleich sein, aber wenn man sich morgens erhebt, weiß man nie, ob man bis abends seinem Tod begegnet. Und ich ginge lieber rein in den Tod.«
    »Ich dachte, du wolltest mir einen Weg über die Narbe zeigen«, beschwerte sich der Händler. »Und jetzt redest du plötzlich vom Tod. Was soll das?«
    Dalarr zögerte mit seiner Antwort und schaute Wikowar an, als hätte er es mit einem Schwachsinnigen zu tun. »Das wirst du noch früh genug verstehen, befürchte ich«, sagte er schließlich, ehe er Namakan auftrug,

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