Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
Vom Netzwerk:
auf den Jungen.« Wikowar verlegte sich nun aufs Flehen und fiel auf die Knie. »Er hat recht. Wovon soll ich leben, wenn ich meine Waren nicht loswerde? Dann muss ich verhungern, Kowal Dalarr.«
    Dalarr raunte eine Verwünschung in seiner alten Sprache. »Gut, Namakan, du sollst deinen Willen haben. Sobald du mir erklären kannst, wie wir diesen Jammerlappen auf die andere Seite befördern.«

9
    Die Wahl zwischen Freiheit und Tod, wie sie Aufrührer zu entwerfen pflegen, verkennt, dass im Tod bisweilen auch eine Form der Freiheit liegen kann.
    Aus den Betrachtungen des Königlichen Ratschlägers Lot Zungspitz
    »Ich bin ruiniert«, moserte der Händler wenige Augenblicke später. Missmutig versuchte er, eines der Fächer an seinem Bauchladen zu schließen. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, da das Bündel Stricknadeln, das er aus seiner Kiepe in den Laden umpacken wollte, viel zu sperrig für das Fach war. »Du machst mich zum Bettler.«
    Das ist also sein Dank? »Die Kiepe muss hierbleiben, tut mir leid.«
    Dalarr beobachtete das elende Schauspiel mit vor der Brust verschränkten Armen und wippte ungeduldig mit dem Fuß. »Können wir dann endlich?«
    Namakan hätte nicht gedacht, dass sich sein Meister auf seinen Plan einlassen würde, aber anscheinend traute sich Dalarr zu, den dicken Händler auf seinem Rücken über die Narbe zu tragen. Namakan hatte Wikowar deutlich zu verstehen gegeben, dass er entweder auf die Kiepe oder den Bauchladen verzichten musste. Wikowar hatte sich für den Laden entschieden – genauer gesagt dazu, aus dem Bauchladen für die Dauer der Überquerung einen Rückenladen zu machen.
    Namakan selbst hatte sich bereiterklärt, sich sowohl seinen eigenen als auch den Rucksack seines Meisters aufzusetzen. Zum Glück für Wikowar war Dalarr ein großer Mensch, sodass die Trageschlaufen seines Rucksacks weit genug für diese Entscheidung waren. Seit Namakan nun beide Rucksäcke aufhatte, hatte sich Dalarr dazu entschieden, ihn mit der wenig schmeichelhaften Bezeichnung Buckelochse zu belegen.
    »Ich sage es kein drittes Mal«, warnte Dalarr. »Können wir jetzt?«
    Grummelnd pfefferte der Händler die Stricknadeln in die Narbe und setzte sich den Bauchladen auf. »So, zufrieden?«
    Bei aller Aufregung konnte Namakan nicht anders: Er lachte, als Dalarr in die Hocke ging, damit der Händler die Arme um die Brust des großen Menschen schlingen konnte.
    »Was ist so komisch?«, knurrte Dalarr.
    »Nichts. Ich dachte nur, ich müsste in die Welt dort draußen gehen, um wundersame Dinge zu sehen. Da habe ich mich geirrt. Ich bin noch auf den Almen und darf schon verfolgen, wie ein geiler Schrank einen graubärtigen Frosch besteigt.«
    »Werd bloß nicht frech, Junge«, rügte Dalarr ihn, aber die Schelte war nicht frei von Heiterkeit. »Ich finde, du …« Dalarr verstummte und zog ein Gesicht, als schösse ihm ein stechender Schmerz durch den Rücken. Er gab ein leises Ächzen von sich und richtete sich auf.
    »Bin ich zu schwer?«, erkundigte sich Wikowar gepresst.
    »Wir werden sehen«, gab Dalarr zurück. »Wir werden sehen.«
    Kaum spürte Namakan unter seinen Kufen den Faden, den sein Meister für den Einstieg in das Netz ausgewählt hatte, griff eiskalte Furcht nach ihm. Stumm betete er zu den Untrennbaren um trockene Hände. Wenn meine Finger vom Griff abrutschen, ist es aus mit mir.
    Der Faden war straff, aber nicht so straff, dass Namakan ihn nicht leicht hätte nachfedern fühlen, als er sich Fußbreit um Fußbreit vorantastete. Die Gurte der beiden Rucksäcke schnitten tief in seine Schultern. Ihr Gewicht zwang ihn, die Muskeln in seinem Rücken beständig anzuspannen, um nicht von der Last nach hinten gezogen zu werden.
    Als er sich sechs oder sieben Schritte vom Rand des Vorsprungs vorgearbeitet hatte, traf ihn ein schlimmer Gedanke. Was, wenn wir so heftig an den Fäden zupfen, dass die Spinnen auftauchen?
    Er verharrte, biss sich auf die Unterlippe und schaute nach rechts, zu seinem Meister, der den Händler auf dem Rücken trug. Dalarrs Geschick mit den Haken stand dem, mit dem er in der Esse den Hammer geschwungen hatte, in nichts nach. Er macht das nicht zum ersten Mal, und er ist viel schneller als ich, obwohl Wikowar mindestens so viel wiegt wie drei Säcke Rüben. Trotzdem war Dalarrs Gesicht von der Anstrengung verzerrt: Er hatte die Zähne gebleckt, die Stirn in tiefe Falten gelegt, und sein Atem ging rasch und keuchend. Es war nicht weiter verwunderlich, dass es ihm

Weitere Kostenlose Bücher