Heldenwinter
Denken. In seiner Haut? Er muss die Zeichen meinen, die er uns erklärt hat.
»Verdammte Schafscheiße!«, fluchte Wikowar. Er klang nicht mehr ganz so verzweifelt. Eher zornig wie ein Kind mit blauen Lippen, das nicht begreifen will, warum man ihm nicht glaubt, dass es die Beeren nicht gegessen hat. »Was kannst du noch alles?«
»Alles«, antwortete Dalarr ernst. »Alles oder wenigstens genug, um zu wissen, was mir da den Rücken versengt.« Er wandte sich ein Stück in Namakans Richtung. »Weißt du noch, was wir dem Mörder abgenommen haben, der uns beim Schwur belauscht hat?«
»Das Amulett.« Die Untrennbaren hatten sein Gebet offenbar nicht erhört oder es zumindest nicht richtig verstanden. Ihm brach der Schweiß aus, wenn auch nur auf der Stirn. »Das Amulett mit dem Geist.«
»Er hat auch so eins«, sagte Dalarr ruhig.
»Verfluchter Hexer«, zischte Wikowar. Er schüttelte kurz seine freie Hand, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen, und unter dem Stoff seines Hemdsärmels blitzte mit einem Mal die Klinge eines Messers auf. Schon war es an Dalarrs Kehle. »Trag mich rüber, hörst du?«
»Wikowar, nicht!«, rief Namakan. »Warum tust du das?«
»Warum tut ein Händler, was er tut?«, beantwortete Dalarr die Frage ohne auch nur den leisesten Hauch von Furcht in der Stimme. Da war Verachtung, schwärzeste Verachtung sogar, aber keine Furcht. »Er tut es des Gewinns wegen. Man hat ihm Gold versprochen.«
»Halt dein Maul und kletter weiter!« Wikowar spannte die Schenkel an wie ein Reiter, der ein Pony zur Eile antreibt. »Los, mach schon.«
»Dabei warst du doch eben noch so ein großer Freund wahrer Worte«, rügte ihn Dalarr, als gäbe es das Messer nicht. »Wie viel war es?«
»Wieso?«, kam es schrill von dem Händler. »Willst du ein besseres Angebot abgeben? Ich bin ganz Ohr.«
»Nein, ich möchte nur wissen, wie viel man dir bieten musste, damit du in den Tod gehst.«
»Kletter weiter«, knurrte Wikowar ungehalten.
Dalarr rührte sich nicht.
»Wikowar!« Verflucht seist du, dass du mich so zum Flehen zwingst! »Das ist nicht gerecht. Denk daran, dass du mir dein Leben schuldest. Wenn dir das irgendetwas bedeutet, dann lass uns über diese Sache vernünftig reden.«
»Da gibt es nichts zu reden.« Der Händler presste sich noch enger an Dalarr. »Er trägt mich rüber, oder er stirbt.«
»Und dann?«, rief Namakan.
»Was und dann?«
»Sollen wir dich dann einfach laufenlassen, sobald wir drüben sind?«
Wikowar zog ein langes Gesicht. »Nun, ich … ich …«
»Sieht so aus, als wäre der Junge zu schlau für uns beide«, merkte Dalarr an. »Ich habe nämlich auch keine Ahnung, was er mit seiner Fragerei bezweckt. Es ist doch ganz einfach: Falls ich dich rübertrage, geht es nur noch darum, wer von uns beiden der Flinkere ist. Du wirst versuchen, mir die Kehle durchzuschneiden, und ich werde versuchen, dich in die Narbe zu werfen. Möge der Bessere gewinnen. Ich würde übrigens bei diesem kleinen Vergleich unserer Fähigkeiten auf mich wetten.«
»Meister?«, sagte Namakan. Bitte hör auf mich. Bitte!
»Ja?«
»Niemand muss sterben.« Namakan wollte nicht auf das Messer an der Kehle seines Meisters starren, aber es schien seine Blicke förmlich anzuziehen. Wie der Mond in manchen Nächten wirkte es zum Greifen nah und doch in unerreichbarer Ferne. »Er könnte uns das Amulett geben, wenn wir drüben sind. Dann gehen wir getrennter Wege. Er verzichtet auf seine Belohnung, und du verzichtest darauf, ihn umzubringen. Wie hört sich das an?«
»Wie der Plan eines Jungspunds, der nach dem Gras der Almen riecht, durch das er sein Leben lang getobt ist«, spottete Wikowar. »Ich habe meine Belohnung schon im Voraus erhalten, du Trottel, und die großen Menschen haben mir klipp und klar zu verstehen gegeben, was mit mir geschieht, wenn ich ihr Vertrauen enttäusche. Dann kommen sie zurück, suchen mich und machen kurzen Prozess mit mir. Das ist es mir nicht wert. Dafür habe ich mich nicht heimlich in ihr Lager gestohlen und ihnen erzählt, dass die Dörfler die Brücke in die Luft sprengen wollen. Schlimm genug, dass die Fässer doch noch hochgegangen sind.«
Wikowars Hohn weckte einen Verdacht in Namakan. O nein! Was habe ich getan? Kann es sein, dass ich ausgerechnet das Leben desjenigen verschont habe, der … »Wann hast du zum ersten Mal mit den großen Menschen geredet, die auf der Suche nach uns waren?«
»Verstehst du es jetzt, mein Junge?« Dalarr zeigte eine
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