Heldenwinter
einem Einziehen ihrer ausgestreckten Fangbeine und einem weiteren Klicken. Nach einem kurzen Moment winkelte sie die vielgelenkigen Beine auf einer Seite so an, dass sich ihr gesamter Körper zur Seite neigte.
Sie denkt nach, begriff Namakan. Beim Busen der Nährenden Gattin, sie denkt tatsächlich nach. Sie hat Spinnengedanken. Ich schaue einer Spinne beim Denken zu. Soll ich das leckere Ding vor mir fressen, für später einspinnen oder … oder was?
Die Spinne traf eine Entscheidung.
Es war gleichermaßen faszinierend und beunruhigend, in welch genauen Dosen die Spinne die Kraft ihrer Beißscheren einzusetzen wusste. Sie umfingen Namakan unter den Achseln mit einem behutsamen Druck.
Worauf die Spinne auf ihrem Weg durch die finsteren Tunnel und Höhlen der Narbenwand weniger Rücksicht nahm, war eine Route zu wählen, die Namakans Gleichgewichtssinn und sein Orientierungsvermögen schonte. In einer düsteren, von leuchtenden Flechten und Pilzen überzogenen Kaverne galt es für sie eine Erdspalte zu überwinden. Sie tat es, indem sie schnurstracks zur Decke hinauf und einfach kopfüber weiterkrabbelte, vorbei an Tropfsteinen und bizarr verästelten Kristallgewächsen. In einem Tunnel, in dem der Durchgang immer wieder von riesigen Felsbrocken blockiert war, wechselte sie zwischen entsetzlich weiten Sprüngen von einem Brocken zum nächsten und kurzen Abschnitten, während derer sie sich seitlich an einer der Wände fortbewegte.
Zu Namakans Gefühl, im wahrsten Sinne des Wortes völlig verloren zu sein, trug bei, dass es viele Abschnitte gab, in denen absolute Finsternis herrschte. Wo die leuchtenden Flechten und Pilze sprossen – meist in dumpfem Rot, giftigem Grün und einem geisterhaften Blau –, bekam er vieles zu sehen, was es ihm erleichterte, der Anweisung seines Meisters weiterhin Folge zu leisten. Er blieb still und stumm. In dem Gang, der von aufgetürmten Knochen und Schädeln gesäumt war, sauber nach der Art getrennt, der die abgenagte Beute einmal angehört hatte. In der Höhle, in der mit Symbolen bemalte Spinnen an Fäden von der Decke hingen und in einem hypnotisierenden Spiel aus Farben hin und her schwangen. In der gewaltigen Halle, wo in engen Reihen leuchtende Pilze dicht an dicht standen und die Bauern unter den Spinnen die reifen Früchte ihres eigentümlichen Feldes ernteten. Sein anfänglicher Ekel und seine Angst wichen nach und nach einer regelrechten Ehrfurcht vor diesen Geschöpfen, zu deren Gefangenem er geworden war.
Ich bin in der Welt jenseits der Berge, zuckte es ihm irgendwann durch den Schädel. Nein, es gibt jenseits der Berge zwei Welten. Eine auf der Erde, wo wir hinwollten, und eine unter der Erde, in die wir verschleppt wurden. Ob ich die andere jetzt jemals sehen werde? Vielleicht schon. Die Spinnen verstehen die Sprache des Meisters. Er warf einen Blick nach vorn zu der anderen Spinne, die Dalarr durch dieses verborgene, weitverzweigte Reich trug. Ich hoffe nur, er hat ihnen das Richtige gesagt. Irgendwo hinter ihm eilte wohl eine dritte Spinne hinter ihnen her, die sich vorhin im Netz den eingesponnenen Wikowar aufgeladen hatte. Es wäre schade, wenn er schon tot wäre. Ich würde gern dabei zusehen, wie die Spinnen ihn sich einverleiben. Dieser fette Verräter. Sollen sie ihn ruhig in ganz kleine Happen schneiden, bevor sie ihn verspeisen. Zuerst den Sack und dann jeden Finger einzeln.
Je tiefer sie in den Bau der Spinnen vordrangen, desto häufiger legte ihr kleiner Zug einen kurzen Halt ein. Zu diesen Gelegenheiten kamen von allen Seiten Spinnen angelaufen, die mit ihren Fangbeinen über Namakans Gesicht, seinen Bauch und seine Beine strichen. Mehrere zeigten daraufhin ein höchst wunderliches Verhalten. Sie fassten mit dem einen Fangbein gezielt nach seinem Scheitel, mit dem anderen nach seinen Fußsohlen. Sie erinnerten ihn dabei an Schneider, die die passende Größe für ein Kleidungsstück abschätzten – verunsicherte Schneider, denn die meisten Spinnen nahmen wieder und wieder Maß, als würden sie zu keinem zufriedenstellenden Schluss über seine Ausmaße gelangen. Woran die Spinnen außerdem große Neugier zeigten, war seine rechte Hand. Eine der größeren rückte ihren Vorderleib bei ihrer Inspektion dicht genug an ihn heran, dass sie mit einem ihrer Augen gegen seine Knöchel stieß. Er befürchtete schon, sie könnte ihm die Hand abzwicken wollen, doch letztlich begnügte sich die Spinne damit, die Riemen der Skaldatkufen an seinen Füßen zu
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