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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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… Ein kribbelndes Grauen fraß an Namakans Sorge um seinen Meister. Das Netz … es schwingt immer noch. Es hört nicht auf zu schwingen. Der Faden, an dem er hing, und der Faden, auf dem er stand, bebten beide unter leisen Erschütterungen.
    »Nein, nein, nein!« Wikowars Jammern gewann neue, von irrsinniger Panik getriebene Kraft. »Nein!«
    Erst dachte Namakan, der Händler würde blind um sich schlagen, um irgendeinen unsichtbaren Gegner zu vertreiben, der ihm auf der Brust hockte. Dem war nicht so. Offenbar gehorchten Wikowar seine Arme nicht mehr richtig, denn seine abgehackten Bewegungen dienten einem anderen Zweck: Er tastete unbeholfen nach den Tragriemen seines Ladens.
    »Nein, bitte, nein!«
    Dann sah Namakan, was den Verräter in solche Angst versetzte.
    Es war eine wahre Flut schwarzer, borstiger Leiber, die sich auf viel zu vielen Beinen aus viel zu vielen verborgenen Höhlen und Schlupfwinkeln in das Netz ergoss. Die Stränge erzitterten unter ihrem huschenden Ansturm. Die größten unter ihnen hätten keine Mühe gehabt, einen Ochsen davonzutragen, während die kleinsten sicherlich mit der flachen Hand leicht zu erschlagen gewesen wären.
    Nun konnte Namakan sie sogar hören – das Schaben ihrer Panzer, wie sie nebeneinander, untereinander und übereinander wuselten, ihrer ohnmächtig zappelnden Beute entgegen.
    Das Furchtbarste an ihnen waren die unübersehbaren Zeichen, dass diese hungrigen Bestien von einem Verstand beseelt waren, der weit über den eines gewöhnlichen Tiers hinausging. Wie konnte ich nur denken, ihr Netz wäre ohne Plan und Sinn gesponnen? Bei einigen glänzten auf den Beißwerkzeugen garstige, gezackte Klingen. Auf den geschwollenen Hinterleibern anderer prangten Bemalungen – Wirbel, Spiralen, Rauten und Dreiecke –, aufgetragen in schillernden Farben. Sie sind ein Volk! Ein Volk von Spinnen! Achtbeinige Krieger, die keine Gnade kennen! Die jeden fressen, der ihr Reich betritt!
    Namakans Kopf fuhr zu dem Vorsprung herum, von dem aus sie ins Netz gestiegen waren.
    »Meister!«, schrie er ein drittes Mal.
    Und tatsächlich: Dalarr sah zu ihm hinauf. Vollkommen ruhig, vollkommen gefasst, und seine Lippen formten ein stummes Wort. Still.
    Die im Laufe seiner langen Lehre erworbenen Reflexe setzten ein, von seiner Angst eher gestärkt denn gehindert. Namakan vertraute darauf, dass der Meister wusste, was er von ihm verlangte.
    Dann waren die Spinnen heran. Als Erstes erreichten sie Wikowar. Ihr Strom spülte über ihn hinweg, teilte sich und floss in zwei Armen weiter, einer zu Dalarr, einer nach oben zu Namakan. Der Händler verschwand unter den Spinnen, deren Beine prüfend und gierig zugleich über seinen zerschmetterten Körper strichen. Die fremdartigen Gesten hätten fast zärtlich gewirkt, wenn nicht Wikowars verzweifelte Schreie gewesen wären. Eines der größeren Tiere – nein, es waren keine Tiere, sie waren viel mehr als das – brachte die Schreie schließlich zum Verstummen. Die Spinne schob ihren Hinterleib unmittelbar über den Kopf ihrer Beute und sonderte einen dicken Strang ihrer klebrigen Seide in den Mund des Halblings ab.
    Die Spinnen fielen auf die gleiche, sonderbar zurückhaltende Weise über Dalarr her, der ihre hektische Begutachtung ohne jeden Widerstand über sich ergehen ließ. Gerade als Namakan den Geruch wahrzunehmen begann, der von den auf ihn zuschwärmenden Spinnen ausging – ein bittersüßes, stechendes Aroma wie von gärendem Heu –, geriet der widerwärtige Fluss ins Stocken. Die vorderste der Spinnen, groß wie ein Kettenhund, klackte mit den Beißscheren und schien ihn aus ihren Dutzenden von Augen kalt zu mustern. Sein eigener Herzschlag dröhnte Namakan in den Ohren wie Donner, aber er machte keinen Mucks. Er ist mein Meister. Er weiß, was er tut.
    Namakan hörte ein Wispern. Raue, kantige Silben. Die alte Sprache, die nur Dalarr und Lodaja je verstanden hatten. »Kongulwafa mek unna.« Drängend, bestimmt, aber nicht streitlustig. »Kongulwafa mek unna.«
    Ohne den Kopf zu bewegen, lugte Namakan nach unten. Aus den Augenwinkeln erhaschte er das Gewusel der großen und kleinen Spinnen, die damit beschäftigt waren, Wikowar samt seinem Laden einzuschnüren. Vor Dalarr waren die Spinnen indes ein Stück zurückgewichen und bildeten ein loses Rund um ihn. Dalarr hob das Kinn, so weit es seine Haltung zuließ, und nickte in Namakans Richtung. »Kongulwafa mek drengir«, wisperte er.
    Die Spinne neben Namakan antwortete darauf mit

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