Heldenwinter
einmal eine ganz gewöhnliche Frau, in die eine Spinne ein Ei gelegt hat, so wie es manche Wespen mit Raupen tun? Bitte nicht. Bitte lass sie immer so gewesen sein. Bitte lass sie kein Ei in mich legen.
Sein Grauen reichte aus, dass er den Befehl seines Meisters nun doch missachtete und den Kopf zu Dalarr drehte. Was er sah, raubte ihm den Atem. Was er sah, hätte er bisher ebenso wenig für möglich gehalten wie die Existenz dieser Bestie. Sein stolzer Meister senkte das Haupt und verneigte sich tief.
»Sei gegrüßt, Kongulwafa, Bewahrerin der Geheimnisse, Hüterin der Narbe, Mutter der Spinnen«, sagte Dalarr salbungsvoll und richtete sich auf.
Die Erwiderung der Spinne kam nicht aus ihrem Schlund. Stattdessen fuhr sie mit einem Beinpaar über die Borsten an ihrem Hinterleib. Wie der Bogen einer Fiedel die Saiten zum Klingen brachte, erzeugte Kongulwafas Schaben und Streifen Laute, die einer kratzigen Stimme glichen. »Du bist zurück, Wanderer. Du warst nicht allzu lange fort.«
»So aufmerksam wie immer.« Dalarr nickte. »Man kann dir eben nichts vormachen, nicht wahr?«
Kongulwafa verstand Dalarrs Bemerkung offenbar als eine versteckte Aufforderung. Sie kroch bis zum Rand des Podests und streckte eines ihrer Fangbeine aus. Es schwenkte zielsicher auf Namakan zu, der nicht anders konnte, als einen Schritt nach hinten zu stolpern. Nicht, dass ihn das aus der Reichweite der gezackten Klaue am Ende des Beins gebracht hätte. Es glitt nah genug an seinem Gesicht vorbei, dass er den Lufthauch spüren konnte, und verharrte schließlich dort an seinem Körper, wo auch die Beine der anderen Spinnen so oft verharrt hatten: an seiner rechten Hand. Still, rief er sich ins Gedächtnis, still .
Die Spitze der Klaue tippte gegen seinen Ringfinger.
»Ah«, machte Kongulwafa. »Er ist es.« Sie zog ihr Bein ein. Ihr Vorderleib wankte kurz von einer Seite zur anderen. »Wo ist die Einäugige?«
»Tot.«
»Tot? Ganz tot? Oder hat sie nur ihre Haut abgestreift?«
»Wir sind nicht wie du, Kongulwafa. Sie kommt nicht zurück. Sie ist in der Stillen Leere.«
Sie reden über Lodaja. Lodaja war auch hier. Namakan öffnete staunend den Mund.
»Auch der Rest meiner neuen Sippe ist dort«, fuhr Dalarr fort. »Der, dessen Treiben mich schon zu meinem letzten Besuch bei dir zwang, hat sie alle umbringen lassen. Und ich hätte dich eigentlich nicht belästigt, aber die Halblinge haben aus Angst vor den Schergen dieses Hundes die Breitbrücke zum Einsturz gebracht.«
Kongulwafa war nicht anzusehen, ob sie den Erklärungen Dalarrs irgendeine Bedeutung beimaß. Eine Weile saß sie einfach nur da und klackte mit den Beißscheren. »Die Einäugige ist tot?«, machte sie dann. »Schade. Ich mochte sie.«
Ein Lächeln huschte über Dalarrs Züge. »Ich weiß. Du hättest sie damals gerne bei dir behalten.«
»Sie hätte es gut bei mir gehabt«, behauptete die Spinne und wies mit einem Fangbein zu den Wänden der Halle. »Sehr gut. Besser als bei dir. Sie wäre dann jetzt bestimmt nicht tot.«
Als sich Dalarrs Miene zu verfinstern begann, konnte Namakan die Ungewissheit nicht mehr ertragen. »Wann bist du schon einmal hier gewesen, Meister?«, fragte er rasch. »Und wieso?«
Kongulwafa drehte sich halb zu ihm. »Er erinnert sich nicht?«
»Du hast zu viele schlaue Jungen aus Eiern schlüpfen sehen, um zu verstehen, wie dumm Kinder sind, die an einem Busen genährt werden müssen«, sagte Dalarr ernst.
Ich war dabei? Namakan runzelte die Stirn. Wie kann ich damals dabei gewesen sein?
Kongulwafa rieb so über ihre Borsten, dass ein Geräusch entstand, das fast wie ein keckerndes Lachen klang. Sie zuckte auf und nieder und brachte die ausgemergelten Hautlappen, die einmal ihre Brüste gewesen sein mussten, zum Schwingen. »Gefällt dir etwa nicht, was du siehst, Windmacher?«
»Der Sturm. Der Winter«, gellte eine helle Stimme durch die Halle. »Der Sturm bringt den Winter. Das Feuer hat es mir gesagt.« Die kleine Frau, die Namakan vorhin bereits aus dem makabren Chor der Gefangenen herausgehört hatte, legte den Kopf in den Nacken und rief: »Das Feuer lügt nie.«
»Du hast nicht genügend Pilze in sie hineingestopft«, bemerkte Dalarr und musterte die Gefangene neugierig. »Man könnte fast meinen, sie hört uns zu, anstatt den Stimmen in sich zu lauschen.«
Barsch winkte Kongulwafa ab. »Sie ist noch nicht lange hier. Sie wird noch lernen, wozu sie da ist.«
»Wo hast du sie her?«, fragte Dalarr. »Von wo haben sie deine
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