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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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den Schinken auf. Nachdem er die Klinge dreimal durch das Fleisch gezogen hatte, sah er zu Namakan und sagte: »Es ist wohl Zeit, dass du erfährst, wie du wirklich zu mir und Lodaja gekommen bist. Aber beschwer dich nicht, wenn dir diese Geschichte nicht so gut gefällt wie die Lüge, die wir dir immer erzählt haben.«

12
    Überall in Tristborn wird der Ausgang der Schlacht von Kluvitfrost bis heute als triumphaler Sieg gefeiert.
    Böse Zungen behaupten, dies geschähe nur, da niemand sich darauf versteht, angemessene Feierlichkeiten für den Ausbruch einer Plage auszurichten.
    Auszug aus den Verbotenen Spitzzüngigkeiten
    Du bist nach einer Schlacht zu uns gekommen.
    Manche würden sagen, dies sei ein gutes Omen – ein Verweis auf ein stolzes, ruhmreiches Schicksal. Doch damit würden sie letztlich mehr über sich selbst verraten, als ihnen wahrscheinlich lieb wäre: dass sie noch nie auf einem Feld gestanden haben, dessen Grund vom Blut der Erschlagenen in einen roten Sumpf verwandelt worden war. Dass sie noch nie die Schreie der Sterbenden gehört haben, die allein von Pein und Entsetzen künden und nicht von Edelmut und Standhaftigkeit. Dass sie noch nie mit ansehen mussten, wie Aberhunderte Leben auf dem Altar der Zwietracht und der Unvernunft geopfert wurden.
    Die großen und die kleinen Schlachten dieser Welt – die, über die Lieder geschrieben und Epen gedichtet werden, ebenso wie die, von denen kein einziger Überlebender mehr zu berichten weiß – sind alle gleich. Sie sind Gemetzel, Kinder des Chaos, Ausgeburten dieser unheiligen Kraft, die ein Wesen dazu antreibt, das andere auszulöschen und zu vernichten.
    Mit der Schlacht von Kluvitfrost verhält es sich nicht anders. Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass Arvid seine Chronisten dazu angehalten hat, in den Annalen ein freundlicheres Bild zu zeichnen. Die Chronisten werden der Bitte ihres Königs gewiss gerne nachgekommen sein. Immerhin werden ihre Schreibstuben mit dem Gold aus seinen Schatzkammern eingerichtet. Sei’s drum …
    Der Feste Kluvitfrost fällt seit jeher eine besondere Bedeutung zu. Sie schützt den einzigen Pass durch die Drachenschuppen, über den eine Armee von Osten her ins Reich einfallen könnte. Daher wäre es sinnvoll gewesen, Kluvitfrost stets gut bemannt zu lassen. Aber wenn die Menschen – und vor allem ihre Könige – mehr Wert auf den Sinn und weniger auf die Wirkungen ihrer Handlungen legen würden, müsste man vermutlich kaum noch Schlachten schlagen. Jedenfalls war das Grauen der Späher groß, die von Kluvitfrost auf die Hochebene hinter dem Pass entsandt wurden, als sie sahen, welche Woge der Vernichtung dort auf sie zurollte. Es war der Sommer, in dem etwas Beispielloses geschah: Zum ersten Mal in der Geschichte gelang es einem der Häuptlinge, sämtliche Pferdestämme hinter sich zu vereinen. Bisher hatte das Reich die heißblütigen Wilden, die die Steppen des Südostens bevölkerten, nur ab und an in ihre Schranken weisen müssen. Doch nun hatte Oktar, den sie den Fetten Hengst nannten, das Unmögliche vollbracht. Er hatte die Anführer seiner fernen Brüder im Nordosten, die über Hunderte von Sommern friedlich geblieben waren, besucht und sie auf seinen Feldzug gegen das Reich eingeschworen. Niemand weiß genau, wie Oktar die Nordstämme davon überzeugte, dass die Zeit für sie gekommen war, gegen das Reich zu ziehen. Vielleicht hatte er einen geachteten Seher im Gefolge, der aus dem Flug der Adler deutete, dass das Reich anfällig und Kluvitfrost leicht im Sturm zu nehmen war. Vielleicht besiegte er andere Häuptlinge im Zweikampf, erschlug ihre Söhne und nahm sich ihre Weiber. Oder vielleicht brauchten die Nordstämme nicht einmal ein Zeichen, da es zu viele junge Krieger unter ihnen gab, die danach gierten, die Sehnen ihrer Bögen singen zu hören.
    Wie dem auch sei, die Späher kehrten nach Kluvitfrost zurück, und der Kommandant der Garnison entsandte einen Kurier an den Hof von Silvretsodra. Sieben Tage und sieben Nächte soll er geritten sein, und als er und sein Pferd mehr tot als lebendig in der Hauptstadt eintrafen, stand zu befürchten, dass Kluvitfrost bereits gefallen war. Arvid zögerte nicht lange. Er erkannte, dass die Zukunft des Reichs in die Waagschale geworfen worden war. Um all seinen Untertanen vor Augen zu führen, was in jenen Tagen auf dem Spiel stand, wagte er einen mutigen Schritt: Er zog sämtliche Truppen aus Silvretsodra ab und machte sich nach Osten auf – mit

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