Heldenwinter
eine Ahnung habe, verlaufen wir uns nur. Komm.«
Schweren Herzens trennte sich Namakan von der Barttanne und nahm wieder die Hand der Rothaarigen. Sie kam ihm nun nicht mehr ganz so heiß vor.
Die Frau lieferte aber umgehend den Beweis, dass sie immer noch fiebrig war. »Du bist kleiner, als du bist, mein König.«
Sie fanden kein Gasthaus am Waldrand, wie Namakan es sich erhofft hatte. Dennoch stießen sie auf eine menschliche Behausung, als das Licht außerhalb des Waldes so trüb geworden war wie das unter dem Dach aus Zweigen und Nadeln. Namakan wünschte sich sofort, der Meister hätte sich zuvor für die andere Richtung entschieden.
Die Hütte selbst wirkte trügerisch einladend. Sie war aus Holzstämmen gebaut, mit Moos als Dichtung zwischen den Ritzen und einem Ofenrohr, das aus dem Grat des flachen Firsts ragte. Unter der vorkragenden Traufe waren an der Wand allerlei Werkzeuge aufgehängt: große Äxte, Schrotsägen mit hölzernen Griffen an beiden Enden des Blattes, wuchtige Hämmer mit gedrungenen Köpfen. Die Tür stand trotz der Kälte offen, als wollten die Bewohner den Wanderern deutlich zur Schau stellen, dass sie jederzeit willkommen waren.
In Wahrheit gab es hier niemanden mehr, der sie noch hätte willkommen heißen können. Zwanzig Schritte von der Hütte entfernt, inmitten der ersten Barttannen, lagen die Leichen von vier großen Männern im blutigen Schnee. Es war schwer zu sagen, wie lange es her war, seit sie der Tod ereilt hatte, weil die Kälte den Verfall ihrer Leiber sicherlich verlangsamt hatte. Es konnte erst an diesem Morgen oder auch bereits vor einigen Tagen passiert sein. Woran kein Zweifel bestand, war, dass ein Kampf stattgefunden hatte – ein erbittert geführter Kampf, bei dem sich die Männer heftig zur Wehr gesetzt hatten. Alle hatten sich mit Äxten bewaffnet, deren Köpfe von gefrorenem Blut überzogen waren. Alle Gegenwehr war letztlich umsonst gewesen, und die Angreifer hatten schrecklich gewütet. Einem der Männer hing der Unterkiefer nur noch an einer Seite am Schädel, einem anderen war mit einer schartigen Klinge das rechte Bein unter dem Knie abgetrennt worden. Allen waren die Bäuche zerfetzt und die Eingeweide daraus hervorgezerrt worden.
Das waren keine anderen Menschen, begriff Namakan. Das waren Tiere. Aber welche Tiere kämpfen mit schartigen Klingen?
Nun sah er auch, dass der zertrampelte Schnee rings um die Leichen nicht nur die Spuren der schweren Stiefel der Getöteten aufwies. Da waren noch andere Abdrücke, von breiten Tatzen oder Pranken, die nur eine Kralle hatten. Sie saß ganz außen an der Pfote, von der sie in einem nahezu rechten Winkel abstand. Den Spuren nach zu urteilen, war die Kralle doppelt so lang wie Namakans Hand. Damit kann man hervorragend Beine abschneiden. Oder sich in einen Bauch hineingraben. Ihr Untrennbaren, was sind das für Ungeheuer?
Um von den Opfern dieses grausigen Massakers fortzukommen, wollte Namakan einer der Spuren ein Stück folgen. Doch er kam nicht weit. Er schaffte nur zehn Schritte, ungefähr auf einen der nächsten Bäume zu, den Oberkörper weit vornübergebeugt, um die Fährte nicht zu verlieren.
»Bleib stehen, du Fifl!«, befahl Dalarr scharf. Er schaute mit ernster Miene zu den Wipfeln der Barttannen hinauf. »Schaff dich in die Hütte. Und nimm die Kleine mit. Sieh zu, dass du Feuer machst.«
Namakan richtete sich auf. »Was ist mit dir, Meister?«
»Du hast mich gehört«, knurrte Dalarr. »In die Hütte!«
Namakan gehorchte, und es fiel ihm leicht, weil er auch so mehr Abstand zwischen sich und die Leichen brachte. Was ihm nicht leicht fiel, war, die Rothaarige, die sich bisher so folgsam hatte führen lassen, zum Gehen zu bewegen. Sie sträubte sich, als Namakan nach ihrer Hand griff, und erst nachdem ihr Dalarr einen Stoß gegen die Schulter versetzte, riss sie den Blick von den Leichen los.
»Geh mit dem Jungen, verflucht!«, herrschte sie Dalarr an.
Die Frau entspannte sich, und Namakan rechnete damit, dass sie seinem Zerren und Ziehen endlich nachgeben würde. Tatsächlich hob sie einen Fuß, aber was dann geschah, erfüllte Namakan mit blankem Entsetzen. Die Frau trat einem der toten Männer gegen den Kopf. Es war der, dessen Kiefer gebrochen und halb aus dem Gesicht gerissen worden war. Der Tritt brachte zu Ende, was die Monstren mit den Klauen begonnen hatten. Die Rothaarige fletschte wild die Zähne, dann spuckte sie auf die Leiche. Anschließend war es plötzlich sie, die Namakan
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