Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
Vom Netzwerk:
mir ein Geschenk dagelassen, bevor sie sich schlafen gelegt haben.«
    Schlafen gelegt? Hilflos stolperte Namakan hinter der frohlockenden jungen Frau her. Hier? Ich stehe auf schlafenden Schlangen?
    Ihm blieb nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass die in der Erde schlummernden Kreaturen das Stampfen seiner Schritte nicht als Störung ihrer Ruhe erachteten.
    Mit angewidertem Gesicht beobachtete er, wie die Rothaarige begeistert in dem Haufen aus schuppigen Häuten wühlte. Nach einigem Suchen und Graben zog das Mädchen eine Schlangenhaut – rabenschwarz und gut anderthalb Schritt lang – aus dem Haufen und präsentierte sie Namakan freudestrahlend. »Ist die nicht ganz entzückend? Da koche ich mir gleich etwas Leim auf und klebe sie mir auf den Gürtel, wenn ich daheim bin.«
    Namakan stutzte. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Sie muss ja irgendwo herkommen. Es ist ja nicht so, als wäre sie aus dem Nichts an der Wand in Kongulwafas Halle gelandet, nur damit der Meister sie aus ihrer Gefangenschaft freihandeln kann. »Wo ist denn dein Daheim?«
    »Na, hier, im Wald«, gab sie abwesend zurück, da ihre volle Aufmerksamkeit ihrer neuen Gürtelzierde galt.
    Danke für die Auskunft. Namakan schüttelte den Kopf. »Können wir dann weitergehen? Dalarr wartet schon.«
    »O nein. Wie furchtbar«, säuselte sie spöttisch. »Hast du Angst, dass du dich ohne deinen Meister verläufst?«
    »Nein«, log Namakan ärgerlich. »Er wird nur schnell ungemütlich, wenn er zu lange wartet. Das ist alles.«
    »So?«
    »Ja.«
    Sie begann, die Haut vorsichtig aufzuwickeln, und klemmte sie sich hinter den Gürtel. »Wer zu eilig durch den Hain hastet, bleibt nur an seinen Ästen hängen.«
    »Gesprochen wie eine echte weise Frau.« Namakan bedachte den albernen Sinnspruch mit einem schiefen Grinsen. »Ich nehme an, das hat dir das Feuer gesagt, was?«
    »Nein.« Sie sah ihn durchdringend an, und ihr Blick ähnelte auf einmal denen, mit denen Lodaja allzu kecke Frechheiten gestraft hatte. »Nein, das hat mir meine Mutter gesagt.«
    Namakan kniff die Lippen zusammen. »Ich wollte deine Mutter nicht beleidigen.«
    »Das hast du nicht«, versicherte sie ihm kühl. »Sie war zu Lebzeiten schon nicht leicht zu beleidigen, und das hat sich inzwischen wohl kaum geändert.«
    Einen Moment wäre Namakan gern vor Scham im Boden versunken, doch dann fiel ihm ein, wer da gerade unter seinen Füßen schlief.
    »Jetzt komm«, sagte sie und wandte sich endgültig von dem Haufen aus Schlangenhäuten ab. »Wir wollten deinen Meister doch nicht zu lange warten lassen, dachte ich.«
    Namakan stapfte ihr verdrossen nach, und er plagte sich noch über seine misslungene Neckerei, als der Schwarze Hain ihm sein drittes Wunder an diesem Tag enthüllte. Diesmal brauchte er niemanden, der ihn darauf hinwies oder ihm seine Herkunft erläuterte, denn es war schlicht und ergreifend zu offenkundig.
    Auf einer felsigen Lichtung sammelte sich Wasser, das aus dem Bauch der Erde nach oben drang, in einem von der Natur geschaffenen steinernen Becken. Namakan schätzte, dass er mindestens fünfzig Schritte gebraucht hätte, um einmal um das ungefähre Rund herumzulaufen. Dass die Ränder dieses Beckens vollkommen frei von Schnee waren und das Wasser darin noch heftiger dampfte als das des Bachlaufs, dem sie bei ihrem Aufbruch von der Holzfällerhütte gefolgt waren, ließ nur einen vernünftigen Schluss zu: Namakans Hoffnung auf einen Bottich mit warmem Wasser, in den er seine frierenden Füße stecken konnte, hatte sich in gewisser Weise doch noch erfüllt.
    Dalarr beurteilte die Lage allem Anschein nach nicht anders. Schon streifte er seinen Pelzumhang ab und nestelte an den Riemen seiner Brustplatte. »Waschtag, meine Lieben«, kündigte er an. »Wir stinken wie die Eber.«
    Weitere Ermunterungen waren für die Rothaarige gar nicht erst nötig. Sie rannte zum Rand des Beckens und riss sich die Stiefel von den Füßen. Binnen weniger Wimpernschläge hatte sie sich aus ihrem schlackernden Kleid geschält.
    O ihr Untrennbaren! Sie ist nackt! Ohne einen einzigen Faden an ihrem dürren Leib. Obwohl … so dürr ist er ja doch nicht. Hier und dort ist er schön rund. Und wer hätte vermutet, dass ihr Haar unten vom gleichen Rot ist wie ihr Haar oben? Schau da nicht hin! Das gehört sich nicht. Ihm klappte der Mund auf, und er spürte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich und in tiefere Regionen seines Körpers zu schießen drohte. Nein! Bitte nicht!

Weitere Kostenlose Bücher