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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Nicht jetzt. Ich muss mich doch gleich ausziehen. Bei allen Seelen im Haus der Fülle. Ich muss mich ausziehen.
    Begleitet von einem freudigen Schrei sprang das Mädchen ins Wasser, und Namakan war froh, dass ihre bloße Haut – weiß wie Milch und gewiss zart wie Samt – seinen Blicken nun wieder verborgen war.
    Sein Meister kannte derlei Scham und Hemmnisse nicht. Dalarr spurtete mit blankem Hintern durch den Schnee und stürzte sich kopfüber ins warme Nass. Prustend und schnaubend tauchte er auf und strich sich die Strähnen zurück, die ihm auf der Stirn klebten. »Was dauert da so lange?«, rief er Namakan lachend zu. »Das Wasser ist herrlich.«
    Namakan trat von einem Bein aufs andere und entschied sich, etwas Zeit zu schinden, indem er umständlich seinen Rucksack absetzte. Er löste langsam den Knoten, der ihm den Umhang um die Schultern hielt. Bedauerlicherweise hatte die Rothaarige offenbar nicht das Geringste dagegen, ihn in all seiner zweifelhaften Pracht zu bewundern. Zwei kräftige Züge brachten sie zurück an den Beckenrand, wo sie das Kinn auf die Felsen stützte und interessiert zu Namakan herübersah. Das wiederum rief Dalarr auf den Plan. »Was ist los? Zier dich nicht so. Sie wird dir nichts abschauen. Oder sorgst du dich, dass dir der Gondull abfriert? Keine Angst. Hier drin wird er sich schön wohlfühlen.«
    Warum muss er sich da einmischen? Namakan zog seine Stiefel aus. Und warum muss er immer so barsch sein?
    »Schämst du dich etwa vor mir?«, fragte die Rothaarige ein bisschen ungläubig.
    Namakan knöpfte sein Hemd auf. Seine tauben Finger zitterten.
    »Vor mir schämt er sich jedenfalls nicht«, meinte Dalarr. »Ich habe an ihm schon alles bestaunt, was es zu bestaunen gibt. Und das ist wahrlich nicht viel.«
    »Vor mir brauchst du dich nicht zu schämen«, sagte die Rothaarige.
    Vermutlich wollte sie ihm Mut zusprechen, aber bei Namakan lösten ihre Worte nur neue Befangenheit aus. »Wundert es dich wirklich, dass ich mich dir nicht zeigen will?«, rang er sich zu einer Antwort durch – in erster Linie deshalb, weil sie noch immer keinerlei Anzeichen machte, wenigstens kurz den Blick abzuwenden . Ihre Augen sahen gar nicht mehr glasig aus. Leider. So waren sie ihm lieber. Nicht so wie jetzt. So wach. So … neugierig . »Ich weiß ja nicht einmal, wie du heißt.«
    »Oh, wenn es nur das ist.« Sie lächelte. »Ich bin Morritbi. Kommst du nun ins Wasser?«
    Namakan holte tief Luft.
    Eins, zwei, drei.
    Er zerrte sich die Hose herunter, beugte den Oberkörper weit nach vorne, um mit seinem Wanst seinen Schritt zu verhüllen, und rannte los wie ein Stier. Als er sich vom Beckenrand abstieß, schloss er die Augen. Das Wasser umfing ihn. Es brannte und prickelte auf seiner Haut, die nicht mehr an solch köstliche Wärme gewohnt war.
    Seine Sohlen schabten über den harten Grund am Boden des Beckens. Er winkelte die Beine an und ließ sich hinuntersinken. Er genoss das Gefühl, wie schwerelos sich sein ganzer Leib anfühlte. Dieser Leib, der ihm – seit er denken konnte – stets viel zu klein für seine großen Wünsche und Träume erschienen war, und viel zu ungelenk und grobschlächtig für die glorreichen Kämpfe, die er in seinen Sehnsüchten ausfocht.
    Ich tauche nie wieder auf. Ich bleibe einfach hier.
    Ein sanfter Druck an den Hinterbacken verriet ihm, dass es vorbei war mit dem sachten Sinken. Trotzdem blieb er noch einen Augenblick auf dem Grund sitzen, bis seine Lungen aufbegehrten und er hinauf an die Oberfläche musste.
    Er fand sich schneller mit dem Gedanken ab, gemeinsam mit diesem verrückten Mädchen – Morritbi, so heißt sie, die jetzt ein Zuhause, eine Familie und einen Namen hat – nackt zu baden, als er ursprünglich angenommen hatte. Aber Morritbis Blick haftete gar nicht an ihm, wie er befürchtet hatte, sondern an Dalarrs Rücken, und als Namakan um seinen Meister herumschwamm, verstand er auch, weshalb. Unmittelbar unter dem verästelten Hautzeichen, das ihm Dalarr als Abbildung eines Hirschgeweihs gedeutet hatte, prangte ein neues Mal. Flammendrot und geschwollen wölbte sich die Haut dort in einem etwa talergroßen Ring. Wie wenn jemand ein glühendheißes Kettenglied auf seinen Rücken gedrückt hätte.
    »Das sieht schmerzhaft aus, was du da hast«, sagte Morritbi besorgt.
    »Was?« Dalarr drehte sich halb zu ihr um und verrenkte den Arm, um auf die mysteriöse Stelle zu zeigen. »Das da?«
    Morritbi nickte. Ihr Blick huschte kurz zum Beckenrand, wo ihr

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