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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Gestalt zurück.«
    »Wer hat diesen schrecklichen Fluch über dich gesprochen?«, wollte Morritbi wissen, eine Hand auf ihre Brust gelegt, als verspürte sie einen Stich im Herzen.
    »Ein Vertrauter meines … Königs.« Das letzte Wort kam Kjell über die Lippen gekrochen wie eine widerwärtige Raupe voller Stacheln. »Zur Strafe für mein unverzeihliches Vergehen.«
    »Das da wäre?«, bohrte Dalarr nach.
    »Den Menschen zu essen zu geben«, antwortete Kjell.
    Namakan wusste nicht, was das heißen sollte, doch er blieb nicht lange unwissend, denn Kjell fing an zu erzählen.
    Ich bin noch unerfahren in der Ausübung meiner Pflichten. Mein Vater wurde erst vor drei Sommern in seine Gruft gelegt. Drei Sommer reichen nicht aus, um alles zu lernen, was zum Verwalten eines Lehens nötig ist.
    Ich dachte, ich würde nichts falsch machen, wenn ich mich an den Leitspruch meines Hauses halte: Wachsamkeit und Treue. Also war ich wachsam. Ich bereiste meine Ländereien, und was ich sah, weckte meine Treue.
    Die Leute im Schwarzen Hain hungern, seit der König die Bäume fällen lässt. Die Felder in meinem Besitz sind nicht die fruchtbarsten, aber sie werfen genügend Erträge ab, um alle Menschen zu ernähren, denen ich Fürsorge schuldig bin. Das heißt, das würden sie, wenn ich nicht ein Viertel des Ertrages an meinen Lehnsherrn abzuführen hätte.
    Ich schrieb einen Brief an den König nach Silvretsodra, um ihm meine Lage zu erklären. Ich schrieb ihm, es sei eine Schande für jeden Mann von edlem Blut, dass in einem so stolzen Reich wie Tristborn Menschen lebten, denen die Bäuche vor Hunger anschwollen. Und ich legte ihm dar, wie einfach dieser Missstand zu beheben war.
    Mein König hat mir nie geantwortet, und ich musste weiter zusehen, wie meine Menschen litten. Ich hatte nur eine Wahl, meine Ehre zu retten und dem Erbe meines Geschlechts gerecht zu werden: Ich ließ das Korn, das meinem Lehnsherrn zugedacht war, an die Menschen im Schwarzen Hain verteilen. Die Wahl, die mein Gesicht und meine Würde bewahrte, war meine Verdammnis.
    Als die Tributeintreiber kamen, fragten sie mich, wo das Korn geblieben sei. Ich sagte es ihnen, und sie nahmen mich fest. In Ketten brachten sie mich an den Hof des Königs.
    Ich schäme mich nicht zu gestehen, dass ich Haupt und Knie vor dem König beugte. Dass ich ihm mein Schreiben in Erinnerung rief. Dass ich ihm mit Tränen in den Augen schilderte, welche Not im Schwarzen Hain herrschte.
    Doch nichts rührte ihn.
    Es ist merkwürdig. All die Sommer dachte ich, der König von Tristborn müsse ein Mann sein, wie mein Vater einer war: rau, aber nicht ohne Wärme. Leicht zu erzürnen, aber dabei nie ungerecht. Seiner eigenen Macht stets bewusst, aber in einer seinem Volk zugetanen Weise.
    Arvid – Arvid der Große, wie ihn seine Speichellecker nennen – ist nichts von alldem.
    Nachdem ich geendet hatte, wandte sich der König an einen Mann, der zur Rechten seines Throns stand. Ich werde ihn nie vergessen, solange ich lebe. Sein Herz und sein Blick sind finsterer als die schwärzeste Nacht, doch er trägt Weiß, wie um der Reinheit selbst zu spotten. Oder vielleicht ist es ein Fehler von uns allen, das größte Übel im größten Dunkel zu vermuten, wenn es sich in Wahrheit hinter den am hellsten strahlenden Masken verbirgt.
    Der König fragte diesen Berater, wie nun am besten mit mir zu verfahren sei. Er antwortete ihm: »Dieser Welpe, der da von Hunger und Not jault, hatte dank der Gnade seines Königs doch immer eine sprudelnde Zitze, an der er saugen konnte. Dennoch hat er Korn gestohlen wie eine Ratte. Korn, das seinem König zusteht. Womöglich ist die rechte Zeit gekommen, da er lernt, was Hunger ist, und was es bedeutet, eine Ratte zu sein. Nicht nur dem Handeln, sondern auch dem Wesen nach.«
    Ich verstand nicht, welches Urteil da über mich gesprochen worden war, und noch weniger verstand ich, was als Nächstes mit mir geschah. Zwei Männer aus der Garde des Königs rissen mir die Kleider vom Leib und schleiften mich in die große Banketthalle des Palasts. Ich wurde in einen herbeigeschafften Käfig eingeschlossen, man warf Seile über die Deckenbalken der Halle und zog den Käfig mit mir daran in die Höhe.
    Und da blieb ich. Viele, viele Tage lang. Unter mir tafelte jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend der König mit seinen Granden. Oh, und was er alles für seine Gäste auffahren ließ! Saftige Braten, süße Kuchen, in Öl gebackene Krebse aus dem Fluss Silvret,

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