Heldenwinter
herrlich duftenden Käse, dazu Weinbrand und Met und Bier …
Anfangs, als meine Kraft noch ausreichte, fand ich mich nicht so leicht mit meiner Gefangenschaft ab. Mal rüttelte ich an den Gitterstäben und warf mich von einer Seite zur anderen, dass der ganze Käfig schwankte. Mal brüllte ich den versammelten hohen Herren und Damen zu, ob sie denn blind seien für das Unrecht, das einem ihrer Brüder im edlen Blute angetan wurde. Dann wieder spuckte ich trotzig auf sie herab, weil sie mein Toben nicht beachteten.
Doch je länger ich dort oben war, desto mehr wurde mein Toben zum Jammern und mein Brüllen zum Flehen. Die Glieder wurden mir schwach und der Mund zu trocken, um meine Quälgeister zu bespucken.
Irgendwann brachte ich nicht mehr zustande, als nur noch dazuliegen. Dazuliegen und mir die Nägel abzukauen. Dazuliegen und mir das Haar auszureißen, um es zu verschlingen und das Loch zu stopfen, das der erbarmungslose Hunger in meine Eingeweide fraß.
Warum ich nicht verdurstete, fragt ihr? Nun, sie gaben mir zu trinken. Abends, nach dem letzten Mahl des Tages, kletterten zwei oder drei der geschickteren Männer der Palastgarde an den Stützpfeilern der Halle nach oben und von dort auf die Querbalken. Sie machten sich immer einen großen Spaß daraus, ihr Wasser auf mich abzuschlagen. Stillt das euren Wissensdurst? Zumindest mein Durst wurde so grausam gestillt.
Ich drohte, den Verstand zu verlieren. Selbst nachts noch glaubte ich, das Lachen und die Stimmen von unten zu hören. Ich habe viel gelernt, während ich besudelt in meinem Käfig lag. Über das Reich. Über den König.
Ich hörte von den Gerüchten, der Fette Hengst der Pferdestämme sei endlich tot, sein Herz zerquetscht unter der Last seiner Brust. Und dass die Priester der Barbaren den Kadaver ihres großen Häuptlings aufgeschnitten hätten, um aus seinen Eingeweiden zu lesen und zu begreifen, was ihre blutrünstigen Götter von ihnen nun verlangten. Was konnten sie aus dem Gedärm eines Mannes entnehmen, der für nichts als seinen Hass auf Tristborn und den Krieg gelebt hatte? Nur noch mehr Hass und neuen Krieg.
Ich weiß noch, dass ich lachte, als ich das hörte, denn in mir stieg ein Bild auf, dem ich nur mit Gelächter begegnen konnte: wie neue Herren in diese Halle einzogen. Kleine Männer mit schwarzem Haar, die Beine gekrümmt von ewigen Ritten, spitze Fellkappen auf den Häuptern und pfeilgefüllte Köcher auf dem Rücken. Einer trug Arvids Kopf auf seiner Lanze, ein anderer den des Mannes in Weiß. Und diese fremden Eroberer setzten sich auf die Bänke und feierten ihr eigenes Festmahl. Doch was nutzte das mir? Nichts. Selbst wenn das Reich fiel, so war ich mir sicher, würde ich dennoch nur in meinem Käfig verhungern – der letzte Zeuge, wie Arvids ach so ruhmreiche Herrschaft ihr Ende fand, das Reichsbanner zerfetzt und zerrissen von Barbarenhand.
Und ich hörte noch viel mehr, als ich da hing. Ich hörte, wie Arvid darunter litt, dass ihm das Schicksal keinen Sohn schenken wollte. Gleich welcher Frau er auch seinen Samen in den Schoß pflanzte, seine Saat weigerte sich, in ihnen aufzugehen. Sie starben allesamt, sobald ihr Bauch sich wölbte, als würde in ihnen statt neuen Lebens ein todbringendes Geschwür wachsen. So war es schon seit der Schlacht von Kluvitfrost, in der er den Fetten Hengst bezwungen hatte. Jener Schlacht, bei der er seine Königin verlor – das letzte Weib, das ihm ein Kind geboren hat.
Und ich hörte, was der Mann in Weiß Arvid riet, um zu verhindern, dass jenes Bild, das in mir aufgestiegen war, Wirklichkeit wird. Er sprach von etwas, das Arvid unbedingt finden müsse. Die Ketten der Ewigkeit nannte er es. »Um den Tod auf unserer Seite zu haben«, sagte er. »Hat er uns nicht schon einmal gute Dienste geleistet?«
Es war jener Augenblick, da ich diese Worte hörte, als jeder Zweifel in mir starb: König Arvid, Arvid der Große, ist nichts als ein kranker Wahnsinniger, dessen Haupt leider eine Krone ziert.
Es ist reine Häme des Schicksals, dass diese Erkenntnis eintrat, während ich selbst am Rande des Wahnsinns taumelte. Geschwächt von meinem Hunger, die zitternden Hände nach den Köstlichkeiten ausgestreckt, die so nah und doch ferner waren als die Verlockungen der entlegensten Provinz.
Heute denke ich, dass ich keinen Tag länger ausgehalten hätte, ehe mein Verstand von meiner Qual endgültig zerfressen worden wäre. Hoffnung ist eine trügerische Geliebte, die sich grell die Wangen und
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