Heldenwinter
Ammorna, setzte sich auf das Bett und machte eine kleine Klappe am Käfig auf. »Die wichtigen hast du bis jetzt immer gelöst, nicht wahr?«
Sie tut so, als würde sie den Meister nicht erst seit ein paar Stunden kennen, wunderte sich Namakan, doch dann galt seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit Ammorna und der Ratte.
»Komm, komm«, flüsterte die Alte beruhigend, während sie das Tier aus seinem Gefängnis holte und es sich in den Schoß legte. »Du weißt doch, wie es ist. Es muss sein. Wir können nichts dagegen tun.«
Die Ratte fiepte und rollte sich unter Ammornas sanften Liebkosungen auf die Seite. Ihr flaumbedeckter Bauch hob und senkte sich in raschen Atemzügen, und ihr langer Schwanz peitschte unruhig hin und her.
Plötzlich riss die Ratte ihr linkes Vorderbein nach oben, wie ein Ertrinkender nach einem rettenden Seil griff. Es knackte und knirschte laut, und nun streckten sich auch die winzigen Finger der Pfote, wurden länger und länger.
Die Ratte pfiff und strampelte einen Moment mit den Hinterbeinen. Dann sah es so aus, als würden zwei unsichtbare Hände sie an Hals und Schwanz packen, um sie unerbittlich auseinanderzureißen.
»Sie stirbt!«, schrie Namakan entsetzt.
»Halt deinen dummen Mund, Junge!«, raunte Ammorna. »Er hat es auch so schon schwer genug, ohne dass du ihm Angst einjagst.«
»Flikka mek«, kam es als raues Flüstern von Dalarr. »Ein Warmusir …«
Namakan hatte nicht die geringste Ahnung, wovon sein Meister redete, doch es war ihm gleichgültig. Das, was mit der Ratte vor sich ging, war alles, worauf er achten konnte. Mit offenem Mund verfolgte er, wie die Ratte wuchs und wuchs. Sie wurde jedoch nicht nur von Herzschlag zu Herzschlag größer. Nein, es gingen weitaus erstaunlichere Veränderungen an ihr vor: Ihr graues Fell fiel ihr büschelweise aus, und an den kahlen Stellen kam rosige, wie von Schlachterhaken gespannte Haut zum Vorschein. Die Schnauze bildete sich zurück, wie wenn jemand sie mit einem Hammer bearbeitete. Ihre Ohren schrumpften, zogen sich zu faltigen Muscheln zusammen und glitten wie Wachstropfen an einer Kerze ein Stück tiefer den Schädel hinab. Schmatzend löste sich ihr Schwanz vom Rücken und verging zu etwas, das große Ähnlichkeit mit einem von der Sonne verschmurgelten Wurm hatte. Aus den Hinterläufen wurden dürre Beine, aus den Vorderläufen sehnige Arme. Aus den Pfoten vor Schmerz gekrümmte Hände, aus dem klaffenden Maul ein weit aufgerissener Mund, aus dem Pfeifen ein gellender Schrei der Qual.
Dann war es vorbei.
Quer über Ammornas Beinen lag der nackte Leib eines jungen Manns von hagerem Wuchs. Er hatte die Lider geschlossen, doch darunter zuckten die Augen wie im Fieberwahn. Ammorna tupfte ihm mit dem Saum ihres Ärmels die schweißnasse Stirn und die tränenfeuchten Wangen. »Du hast es geschafft«, wisperte sie zärtlich. »Du hast es geschafft, Kjell.«
In erschütterter Faszination beobachtete Namakan jede Regung des Verwandelten. Er sieht aus wie ein gewöhnlicher großer Mensch. Er isst und trinkt so. Er spricht auch so. Aber sein Haar hat dieselbe Farbe wie die Ratte, und seine Augen auch. Braun. Er muss derselbe Mann sein, den wir in diesem Dorf mit Ammorna am Wagen gesehen haben. Ich erkenne die Rüstung wieder. Die vielen Dellen und Schrammen. Dass Ammorna dafür noch einmal ins Feuer gegangen ist …
Kjell schabte den letzten Rest Zapfenbrei aus seiner Schale und steckte sich den Löffel so gierig in den Mund, als wäre der Brei eine seltene Köstlichkeit. Er schluckte, stellte die Schale weg und blickte in die Runde. »Danke«, sagte er dann mit weicher Stimme. »Danke, dass ihr uns gerettet habt.«
Dalarr verschränkte die Arme vor der Brust. »Dein Dank kümmert mich nicht. Was mich kümmert, ist, ob du schon immer warst, was du bist. Ob du deiner Mutter als Ratte oder als Mann aus dem Schoß gefallen bist.«
Ammorna, die neben ihrem Schützling oder ihrem Herrn, oder was immer er nun genau war, auf der Bettstatt saß, schnaubte verächtlich. »Glaub mir, alter Wanderer, ich hätte ihn sofort erstickt, wenn er mit einem Rattenschwanz geboren worden wäre. Noch bevor ich ihm seinem Vater gezeigt hätte.«
»Was mich befallen hat, ist kein Makel des Blutes.« Eine traurige Verbitterung färbte Kjells Erklärung. »Es ist ein Fluch. Jedes Mal, wenn die Sonne untergeht, werde ich in die Gestalt einer Ratte gezwungen, und jedes Mal, wenn die Sonne sich wieder erhebt, erhalte ich unter Schmerzen meine alte
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