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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Dalarr sie zurück zu Morritbis Haus, und die Frau mit dem Käfig folgte ihnen unaufgefordert. Sie schleppte das Bündel, das sie aus dem brennenden Wagen geborgen hatte, hinter sich her, wobei sie immer lauter zeterte. Dalarr gab sich ungefähr auf der Hälfte der Strecke geschlagen und nahm ihr die Last ab. Als Lohn für seine Mühen handelte er sich ein »Besser spät als nie« ein, das aber immerhin nicht mehr ganz so giftig klang wie ihre vorherigen Beschimpfungen. Die Frau ließ sich sogar zu einer förmlichen Vorstellung herab, und so erfuhren sie ihren Namen: Ammorna.
    Was sie ebenfalls ungefragt erfuhren, war die Ursache für die missliche Lage, in der Ammorna sich wiedergefunden hatte. Sie behauptete, Kjell – die Ratte, in deren Adern angeblich blaues Blut floss – hätte am vergangenen Abend zu recht später Stunde darauf bestanden, die Fahrt aus Tanngrund ins nächste Dorf anzutreten.
    »Ich habe gesagt, dass ich das für keinen guten Einfall halte«, maulte Ammorna und schüttelte den Käfig. »Aber der Junge hat noch nie auf mich gehört. Als hätte ich ihn zu heiß gebadet oder als wäre er mir beim Windelwechseln einmal zu oft auf den Boden gefallen.« Ihr Seufzen hallte weit durch den nächtlichen Wald. »Anfangs sah alles danach aus, als könnten wir es schaffen. Die Pferde schienen zu ahnen, dass wir unser Ziel besser erreichen sollten, bevor es richtig dunkel wurde. Nun, das Glück war uns nicht lange hold. Der Wagen war alt, und der Weg war schlecht. Dann saßen wir fest, und die Sonne ging unter. Ich habe den Jungen gleich in seinen Käfig gesteckt, damit ihm nichts zustößt. Ich habe zu Kroka gebetet, dass sie die Klauenschatten von uns fernhält. Nach einer Weile war sie es wohl leid, dass ich ihr immer mit der gleichen Bitte in den Ohren lag. Nun ja, ich sollte mich nicht beklagen. Sie ist die Mutter alles Kommenden, also hat sie gewusst, dass ihr erscheinen würdet, um die Bestien zu verscheuchen.« Sie nahm den Kopf hoch und sprach zum Himmel. »Ein kleines Omen, dass wir nicht zerfleischt werden, wäre allerdings zu gütig gewesen, Herrin.«
    Namakan fasste sich ein Herz, um seine quälende Neugier zu befriedigen. »Wie kann eine Ratte ein Graf sein?«
    Ammorna blieb stehen, um ihn von oben bis unten zu mustern, und Namakan fühlte sich trotz der Dunkelheit noch nackter als bei seinem Bad in der heißen Quelle. »Wie kann ein so kleiner Mensch so dumme Fragen stellen?«
    Sie ging kopfschüttelnd weiter.
    Am Haus angekommen, machte Morritbi ein neues Feuer und schmolz eine Kesselladung Schnee. Während Namakan und Dalarr sich das Blut des Klauenschattens abwuschen, bat Ammorna in gemäßigt herrischem Tonfall um Nähzeug. Sie zog sich in den hintersten Winkel des Raums zurück, um ihre Robe abzulegen und den langen Riss im Stoff zu flicken.
    Namakan nahm sein Hemd und begutachtete die verkrusteten, rotbraunen Flecken darauf. »Wenn wir nicht wollen, dass uns die halbe Welt für Plageopfer hält, müssen wir unsere Sachen dringend waschen.«
    Dalarr, der in seiner gewohnten Schamlosigkeit nackt seine Rüstung säuberte, schaute auf. »Wir haben hier schon genügend Zeit vergeudet. Ich will beim Morgengrauen weiter.« Er wies mit der Beinschiene, die er gerade polierte, zu Morritbi. »Hast du Kleidung für uns?«
    »Natürlich.« Sie ging zu einer Truhe an der Bettstatt, auf der Dalarr geruht hatte, und klappte ihren Deckel auf.
    »Aber sind das auch Sachen für Männer?«, wollte Namakan wissen.
    »Selbstverständlich.« Morritbi zog ein langes Hemd aus weißem Leinen aus der Truhe, das über und über mit Ranken und Vögeln bestickt war. »Das hier habe ich von einem einsamen Mann, den ich besucht habe.«
    Sie warf das Hemd zu Namakan. Er fing es auf und beäugte es skeptisch. Sie hat einsame Männer besucht … wissen die Untrennbaren wie viele … und einsame Frauen, hat sie die auch besucht? »Der Mann hat dir sein Hemd geschenkt, nachdem ihr … fertig wart?«
    Morritbi lachte ein helles, ungläubiges Lachen. »Nein. Ich habe es ihm gestohlen, als er eingeschlafen war. Das machen wir immer so, um dafür zu sorgen, dass die Menschen, die wir besuchen, unser Erscheinen am nächsten Morgen nicht nur für einen schönen Traum halten. Wenn ihnen etwas fehlt, wissen sie, dass wir wirklich da gewesen sind.« Sie deutete auf das Hemd. »Na los. Zieh es an.« Dann beugte sie sich wieder über die Truhe. »Fehlt nur noch eine Hose für dich, und dann kümmere ich mich um Dalarrs

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