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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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tun … Nun, sagen wir, es hat auch seine Vorzüge, eine Ratte zu sein. Man kommt an so manchen Ort, den die Leute lieber verschlossen halten wollen, insbesondere nachts. Und wenn dann der Morgen anbricht, habe ich wieder die Hände, die ich brauche, um Türen und Tore zu öffnen.«
    »Du bist ein Dieb«, stellte Namakan nüchtern fest.
    »Was erlaubst du dir, du Wicht?«, grollte Ammorna.
    »Der Stachel der Wahrheit war schon immer spitz.« Dalarr lächelte, doch das Misstrauen war aus seinen Zügen gewichen. »Immerhin stiehlst du für eine gute Sache, Kjell, und das kann nicht jeder Dieb behaupten. Andererseits lastet auch auf den wenigsten Dieben ein solch schrecklicher Fluch.«
    »An deiner Stelle würde ich alles tun, um ihn zu brechen.« Morritbi bleckte die Zähne. »Alles.«
    »Das ist nicht so leicht, wie du denkst«, entgegnete ihr Kjell. Ein deutlicher Anflug von Furcht legte sich wie ein Schatten auf sein Gesicht. »Ich befürchte sogar, es ist unmöglich.«
    »Dridd«, wandte Dalarr kopfschüttelnd ein. »Hat dir das die Nebelkrähe eingeredet? Ich will dir etwas sagen: Damit der Bann gebrochen wird, muss nur ein einziges Herz aufhören zu schlagen. Das desjenigen, der ihn auf dich gesprochen hat.«
    »Du kennst diesen Mann nicht.« Kjell senkte die Stimme zu einem atemlosen Flüstern. »Du weißt nicht, wozu er fähig ist.«
    »O doch«, widersprach Dalarr scharf. »Ich kenne ihn. Besser als mir lieb ist.«
    »Ich kenne ihn auch.« Einmal mehr tat sich in Namakan jener dunkle Abgrund auf, in den er seine wahrhaftigsten Gefühle hinabgestoßen hatte. Einen kurzen Augenblick nur, der seine nach außen so standhaft verteidigte Gefasstheit dennoch schier zerriss, schmeckte er Blut und roch kalte Asche. »Er hat meine Mutter und meine Geschwister getötet. Er muss sterben. Er wird sterben.« Namakan griff nach Morritbis Hand, weil er sich plötzlich nach ihrer Wärme sehnte. »Für alles, was er mir und so vielen anderen angetan hat.«
    »Warum kommst du nicht mit uns?« Dalarrs Frage war eine einzige Herausforderung. »Warum siehst du nicht wenigstens dabei zu, wie wir dieses Stück Dreck vom Antlitz der Erde tilgen? Ihn und diesen Narren, der sich für seinen Herrn und Meister hält. Du redest von Ehre, und doch lässt du dich zu einem Dieb machen. Warum? Hast du etwa vergessen zu erwähnen, dass sie dir in Silvretsodra die Eier abgeschnitten haben, bevor du in deinem Käfig gelandet bist?«
    »Ich habe Angst«, gestand Kjell mit bebenden Lippen und sandte einen hilfesuchenden Blick zu Ammorna. »Ich habe einfach zu viel Angst vor ihm.«
    »Ich weiß.« Ammorna strich ihm übers Haar. »Das brauchst du nicht mehr.« Sie sah zu Dalarr, ein eigentümliches Funkeln in den Augen. »Kroka hat uns jemanden gesandt, der es mit dem Weißen Wind aufnehmen kann.«
    Sie kennt ihn! Namakan war sich nun ganz sicher. Sie kennt den Meister irgendwoher.
    »Dieser Jemand müsste ein unbezwingbarer Held sein«, sagte Kjell nachdenklich. »Ein strahlender Recke wie aus den alten Sagen. Ein wahrer Bilur Imir.«
    »Nein.« Ammorna seufzte schwer. »Bilur Imir ist lange fort, und er kommt nicht wieder. Das muss er auch nicht. Wir brauchen keinen Helden. Wir brauchen jemanden, der weiß, wie man einen Sturm entfesselt, der Reiche hinwegfegt.« Sie deutete auf Dalarr. »Und er ist uns gesandt worden.«
    Als sie wenig später von Morritbis Haus in den Schwarzen Hain hinauszogen, schritt Namakan an Dalarrs Seite. Er grübelte lange darüber, was Ammorna gesagt hatte und was sie wohl in seinem Meister sah. Schließlich machte er seinen Gedanken Luft. »Sind wir denn keine Helden, wenn wir ein Unrecht sühnen?«
    Dalarr drehte sich zu Ammorna um, die mit Kjell die Nachhut ihrer kleinen Gruppe bildete, als wollte er sehen, ob ihn die Weißhaarige belauschte. »Darüber sollen andere entscheiden. Viele, die Helden waren, gelten als Schurken, und viele Schurken werden als Helden gefeiert.«
    »Wie Waldur?«, fragte Namakan.
    Dalarr hob die Augenbrauen. »Waldur …«, setzte er grimmig an und verstummte sofort wieder.
    »Wie konnte er jemals dein Freund sein, Meister?« Da waren sie wieder – der Geschmack von Blut und der Geruch von Asche. »Du hast gesagt, er sei nicht immer so gewesen, wie er heute ist. Dass er sich verändert hat. Und trotzdem … Er hat Arvid auf den Thron gehoben. Er hat unsere Familie ausgelöscht. Er hat Kjell verflucht. Er hat Morritbis Mutter umgebracht und ihren Vater verschleppt. Wie konnte er so

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