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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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bösartig und so grausam werden, ohne dass du je geahnt hast, wie finster sein Herz ist?«
    »Weil auch ich nicht immer der gewesen bin, den du heute vor dir siehst«, antwortete Dalarr und schlug ein eiligeres Tempo an, um Namakan zu zeigen, dass er die Vergangenheit besser hinter sich ließ.

17
    Warum plagst du dich beständig mit dem Gedanken, wie weit der Weg deines Lebens sich noch hinziehen wird?
    Grämst du dich denn auch darüber, dass auf jeden Tag eine Nacht folgen muss?
    Aus den Zehntausend Fragen auf dem Pfad zur steinernen Gelassenheit
    Dalarr führte sie drei Tage lang immer tiefer in den Schwarzen Hain. Keiner der anderen brachte ihn dazu, das Ziel ihres Vorstoßes ins Herz des Waldes preiszugeben. »Euch werden die Augen übergehen«, sagte er nur rätselhaft, und bei allzu drängenden Fragen erklärte er: »Jeder Schritt, den wir machen, bringt uns unserer Rache ein Stück näher, auch wenn es euch jetzt wie ein Umweg erscheinen mag.«
    Umso erstaunlicher war es, dass kein Unmut über seine mangelnde Auskunftsfreudigkeit ausbrach. Namakans Vermutung nach hing die ruhige Folgsamkeit der Wanderer damit zusammen, dass Dalarr den Eindruck vermittelte, sehr genau zu wissen, wohin er ging. Dass er ein ums andere Mal – für die kurzen Verschnaufpausen ebenso wie für die Nachtlager – bestens geeignete Rastplätze fand, schadete auch nicht.
    Es ist nicht mehr so wie damals auf dem abgeholzten Hang, nachdem uns die Spinnen aus ihrem Bau getragen haben, fiel Namakan rasch auf. Der Meister sieht sich immer noch oft um, aber nicht mehr, als wäre er fremd hier. Eher wie jemand, der immer das findet, wonach er sucht. Wie ein Wolf, der mit einem neuen Rudel in eines seiner alten Reviere zurückkehrt und nicht lange Witterung aufnehmen muss, um sich zurechtzufinden.
    Ihre erste Nacht verbrachten sie an einer Stelle, an der heißes Wasser aus dem Boden sprudelte, fast wie das von der Natur geformte Becken, an dem Namakan seine Scham überfallen hatte. Da das Gelände hier jedoch wesentlich abschüssiger war und der Untergrund kaum Felsen aufwies, hatte das Wasser keine Gelegenheit, sich zu sammeln. Stattdessen hatte es sich ein schmales Bett in die Erde gegraben, in dem es munter plätschernd ins Tal hinunter floss.
    Kurz bevor die Sonne unterging, zogen sich Ammorna und Kjell wortlos von der Lichtung zurück und verschwanden zwischen den Bäumen. Sie brauchten keine Entschuldigung, und selbst wenn sie eine ausgesprochen hätten, hätte sie angesichts der gequälten Schreie, die die Stille der Dämmerung schon bald zerrissen, nur wie Hohn gewirkt. Weder Kjell noch seine treue Amme trugen schließlich die Schuld an dem, was mit ihm jede Nacht geschah.
    Die lauten Schreie wurden nach und nach zu einem leisen Pfeifen, und kurz darauf kam Ammorna wieder zwischen den Bäumen hervor. Sie setzte Kjell in seinen Käfig und gab ihm etwas von dem harten Fladen aus Tannenmehl zu essen, den Morritbi ihr reichte.
    »Warum sperrst du ihn ein?«, fragte die Hexe. »Hat er nicht lange genug in einem Käfig zugebracht?«
    »Sie sperrt ihn nicht ein«, sagte Namakan vorsichtig, nachdem Ammorna lediglich mit einem Kopfschütteln und einem ihrer tiefen Seufzer geantwortet hatte. »Dieser Käfig ist kein Gefängnis. Er dient seinem Schutz. Denk daran, wo wir sind. Es gibt hier viele Tiere, die in Kjell nichts anderes sehen als eine schmackhafte Mahlzeit.«
    »Stimmt«, mischte sich Dalarr ein und grinste Ammorna an. »Nebelkrähen zum Beispiel.« Er stocherte mit einem Stock im Feuer. »Und jetzt hör auf, kluge Sprüche zu klopfen, sondern sieh zu, dass du noch etwas Holz zum Nachlegen findest. Sonst enden wir nämlich noch als schmackhafte Mahlzeit für die Bar Gripir, wenn das Feuer ausgeht.«
    Bis Namakan zwei Arme voll Holz gesammelt hatte, war Ammorna eingeschlafen und auch Dalarr hatte sich schon in seine Decke gewickelt. Nur Morritbi saß noch aufrecht und lauschte dem knisternden Flüstern und Knacken der Glut. Namakan legte etwas Holz nach, holte seine Decke, breitete sie aus und setzte sich neben die Hexe. Der Schein des Feuers glühte auf ihren Wangen, und ihre dichten Locken sahen aus wie erstarrte Flammen.
    Da er Morritbi nicht stören wollte, spielte Namakan unschlüssig mit dem Saum seiner Decke und dachte daran, dass er nun besser ausgerüstet war als zu Beginn seiner Reise. Zwischen all dem harmlosen Schnickschnack und dem unheimlichen Gerümpel in Morritbis Haus hatten sich genug Dinge gefunden, die ihnen bei

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