Heldenwinter
ihrer Wanderung zur Hauptstadt gewiss noch nützlich sein konnten: Angelhaken und Leinen, fingerlose Handschuhe, allerlei Nahrung sowie insgesamt 17 Taler in großen und kleinen Münzen. Er musste daran denken, wie Morritbi sich von ihrer Heimstatt verabschiedet hatte. Sie hat die Tür gestreichelt und die Fensterläden. Und sich von ihrem Kessel verabschiedet und von den Betten. Sie hat mit ihnen gesprochen, als wären sie lebendig. Ob sie glaubt, dass wirklich alles eine Seele hat? Dass in allen Sachen Geister wohnen? Mir wäre nicht wohl dabei.
»Du bist anders zu mir, seit ich dich getröstet habe.« In Morritbis leisen Worten lag ein lauter Vorwurf, wie wenn Namakan aus einer Laune heraus etwas zerbrochen hätte, das ihr irgendwie kostbar war. »Du siehst mich anders an, und du redest anders mit mir.«
»Es ist doch auch alles anders, oder?«, meinte er.
»Und was ist so schlimm daran?«
»Ich weiß nicht.« Namakan zog die Knie an und verschränkte die Arme auf ihnen. »Du bist das erste Mädchen, mit dem ich …« Er stockte. »Es ist albern. Ich hatte immer gedacht, es würde etwas Großartiges geschehen, sobald es so weit ist.«
»Hat es dir nicht gefallen?«
»Doch, doch«, beeilte er sich zu sagen, und es war nichts als die Wahrheit. »Aber … weißt du, ich hatte die Hoffnung, dass ich mich vollkommen neu fühlen würde, sobald ich ein echter Mann bin. Und tue ich das? Nein. Es ist genauso wie vorher.« Er hob den Kopf, um mit dem Kinn auf Dalarrs ruhende Gestalt zu deuten. »Er ist und bleibt mein Meister. Ich bin genauso ungeschickt wie davor, ich weiß genauso wenig über die Welt wie davor, und ich komme mir genauso hilflos vor.«
Sie sah ihn lange aus ihren großen Augen an, in denen sich die Flammen des Feuers spiegelten. »Das hört sich so an, als wärst du nicht gerne der, der du bist.«
»Sieh mich doch an.« Namakan lachte bitter auf. »Was bin ich denn schon? Ein kleiner, halber Schmied mit einem dicken Bauch und haarigen Füßen, der glaubt, er könne dabei helfen, einen König zu töten. Das ist doch jämmerlich. Was könnte ich denn gegen einen wie Arvid oder Waldur ausrichten? Dir gehorcht das Feuer, Ammorna wirkt ihre eigene Magie, und selbst der arme Kjell weiß offenbar wenigstens mit einem Schwert umzugehen. Ihr seid dem Meister eine Hilfe bei unserer Rache. Aber ich? Ich bin für ihn doch nur ein Klotz am Bein. Er hätte mich auf den Almen lassen sollen.«
Morritbi schlug rasch die Augen nieder. »Dann wären wir uns nie begegnet. Wäre dir das etwa lieber?« Sie wandte sich ab und kroch unter ihre Decke.
Namakan biss sich auf die Unterlippe und legte sich neben sie – so dicht, dass sein Bauch gerade ihren Rücken berührte. »Bedeutet es dir etwas, dass wir …« Wie hat sie es genannt? »Dass du mich getröstet hast?«
»Es muss uns so viel bedeuten, wie wir wollen, dass es uns bedeutet.« Ihm war, als würde der sachte Druck auf seinen Bauch eine Winzigkeit zunehmen, weil sie einen Fingerbreit auf ihn zurutschte.
Er rang zwei, drei Herzschläge mit sich, dann wanderte seine Hand auf ihre Hüfte. Er rechnete fest damit, dass sie versuchen würde, seine versöhnliche Geste zurückzuweisen, doch er irrte sich. Mit einem Mal spürte er die Wärme ihrer Finger auf seinen, und er gab sich gern der Hoffnung hin, dass sie ihm verziehen hatte.
Flüsternde Stimmen weckten ihn noch vor dem Morgengrauen. Es war nicht jene Art des Erwachens, bei der man vor Schreck hochfuhr und der Schlaf von einem abfiel, als hätte es ihn nie gegeben. Es war vielmehr ein sanftes Aufsteigen zu einer völligen Klarheit, das immer wieder von zeitlosen Augenblicken unterbrochen wurde, in denen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verschwammen. Nur weil er glaubte, einmal kurz seinen Namen gehört zu haben, zwang sich Namakan, an den Empfindungen festzuhalten, die ihm der wachen Welt entsprungen schienen: die Kälte des Morgens an seiner Nasenspitze, der klamme Waldboden unter ihm, der Geruch von brennendem Holz – und eben die zwei Stimmen, die einen murmelnden Disput führten.
»Nicht so laut.« Dunkel. Rau. Warnend. Der Meister. »Weck sie nicht.«
»Wann willst du es ihm sagen?« Heller. Weicher. Ammorna? »Du musst es ihm irgendwann sagen.«
»Sobald es Zeit ist. Jetzt noch nicht.«
»Warum nicht? Hast du Angst, dass er es nicht versteht?«
»Er hat genug mitgemacht. Es ist so schon schwer für ihn.«
»Je länger du wartest, desto verletzter wird er sein.«
»Was kümmert
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