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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Füßen ist unser Gras. Der Wind in meinem Haar ist unser Wind. Die Wolken am Himmel sind unsere Wolken. Wir werden noch durch diese Weiten ziehen, wenn all ihre steinernen Häuser zu Staub zerfallen sind!
    Die Vorhut der tapferen Jungkrieger war höchstens noch einen guten Bogenschuss von den flinksten Kettenbrüdern entfernt, als etwas geschah, dass die Freude in Teriasch erstickte und Dokescha einen wilden Aufschrei entlockte: Die Krieger machten kehrt und trieben ihre Pferde dabei zu noch größerer Eile an. Aus den vermeintlichen Rettern wurden selbst Flüchtende, die immer wieder über ihre Schultern Blicke nach hinten warfen.
    »Halt!«, rief Dokescha. »Halt!«
    Wovor fliehen sie? Die Harten Menschen haben keine Pferde! Sie können sie doch nie einholen!
    Als wären die Geister des Feuers darüber erzürnt, dass Menschen es gewagt hatten, Feuer vom Himmel regnen zu lassen, stürzte ein gleißender Ball aus Flammen auf die Steppe herab, mitten in eine Gruppe der fliehenden Reiter. Der Ball zerplatzte beim Aufschlag und übergoss Menschen und Pferde mit einem Schwall flüssigen Feuers.
    Teriasch und Dokescha strauchelten, fingen sich und blieben wie angewurzelt stehen. Teriasch schaute zum Himmel. Eine verwaschene Erinnerung aus den düstersten Tiefen seines Verstands strich durch sein Denken. Ein beißender Schmerz fuhr in seine rechte Schulter. Hoch droben kreiste ein Schatten wie von einem gewaltigen Raubvogel. Doch es gab keine Vögel auf der Steppe, deren Schwingen so spitz und schmal zuliefen. Die ihre Fänge im Flug so nach hinten streckten, dass sie über ihren Schwanz hinausragten. Die entlang ihres Leibes Ausstülpungen und Beulen aufwiesen. Teriasch lief ein Schauer über den Rücken, als er verstand, was Spuo mit dem dichten roten Rauch bezweckt hatte.
    Er hat die Echsenreiter gerufen!
    Die Erkenntnis war noch frisch und entsetzlich, da rauschte es hinter Teriasch, wie wenn ein wütender Sturm durchs Gras fauchte. Im nächsten Moment wurde er in die Luft gerissen. Dokescha schrie auf und gurgelte. Blut spritzte Teriasch in die Augen, und ihm war, als würde sein Arm ausgerissen, an dem er an den Milchbauch-Krieger gekettet war. Ein trockener, scharfer Geruch ließ ihn würgen. Jemand lachte. Ein Geräusch wie von nassem, reißendem Stoff. Dann sackte ihm der Magen weg, und er rollte durchs Gras, schnitt sich daran, schürfte sich Knie und Hüfte auf, blieb auf dem Bauch liegen. Er wälzte sich mühelos auf den Rücken, ohne jede Gegenwehr von Dokescha.
    Über ihm glitt eine Echse höher und höher in den Himmel hinauf; ihr braungrün gesprenkeltes Schuppenkleid glänzte in der Sonne, als wäre sie mit Edelsteinen überzogen. Sie trug ein kleines Stück Beute im Schnabel, einen merkwürdigen Wurm.
    Teriasch setzte sich auf. Dokescha rührte sich nicht, und Dokescha würde sich auch nie wieder rühren. Sein Kopf war in einem schrägen Winkel abgeknickt, und die Haut in seinem Nacken war an mehreren Stellen straff gespannt, weil von innen zerschmetterte Knochen dagegendrückten. Es war dennoch auf grässliche Weise tröstlich, dass der Krieger sich den Hals gebrochen hatte. So blieb es ihm erspart, dabei zusehen zu müssen, wie das Leben aus einer riesigen Wunde aus ihm herausfloss: Ihm fehlte ein Arm, und seine Seite war von der Brust bis hinunter zur Hüfte aufgerissen.
    Teriasch weinte nicht, als ihn die Harten Menschen fanden, nachdem die Echsen und ihre Feuerkugeln die Milchbäuche endgültig vertrieben hatten und Rauch den Himmel über der Steppe verdunkelte. Er sang das lange Lied, das man für einen tapferen Krieger sang, der heim zu seinen Ahnen ging, um ihnen von seinen Heldentaten zu berichten. Er sang es noch, als die Fremden ihn von seinem Kettenbruder lösten. Er sang es so lange, bis sie ihm einen Dolchknauf über den Schädel zogen und ihn an den Füßen zurück in ihre Festung schleiften.

4

     
Geh und sag: Ich war stark.
Geh und sag: Ich war tapfer.
Geh und sag: Ich war schwach.
Geh und sag: Ich war feige.
Geh und sag: Ich war ich.
Aus dem Lied der Schwarzen Pfeile für gefallene Krieger
     
    Die Festung der Harten Menschen hatte dem Feuer getrotzt. Sie mochte Narben tragen – Rußflecken an den Steinen, die eingestürzten Turmtreppen, verbrannte Balken und eingeäscherte Unterstände –, doch sie war nicht zerstört. Nachdem die Flugechsen die Angreifer in die Flucht geschlagen hatten, war es den Soldaten gelungen, die Brände zu löschen, ehe sie alles Holz verschlingen

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