Heldenzorn: Roman (German Edition)
großen Platzes, in den Varia ihn geführt hatte. Durch ein schmales Fenster konnte er sehen, wie Varias Helfer draußen die Milchbäuche auf das Podest zerrten. Die Menschenmenge davor war um einiges geschrumpft.
Varia saß an einem Tisch und sortierte die Metallscheiben aus Silicis’ Beutel zu Türmchen von gleicher Höhe. Der Mann, dem Teriasch nun gehörte, hatte ihr gegenüber Platz genommen und rieb sich den Schädel.
»Es sind zweihundertfünfzig«, sagte er. »Auf die Münze genau, du misstrauisches Stück.«
»Ja, ja«, summte Varia.
»Mir rollen die Würfel immer gut von der Hand, wenn ich mehr Wein als Blut in den Adern habe.«
»Ja, ja.«
»Heute Abend hat sich hoher Besuch angekündigt. Hoher Besuch macht mich unruhig, und das Spielen hilft gegen die Unruhe.«
»Ja, ja.«
»Ich versuche, hier Konversation zu betreiben, wie es die Höflichkeit gebietet, wenn man Geschäfte macht.«
»Ja, ja.« Varia legte die letzte Münze auf das letzte Türmchen. »Zweihundertfünfzig.«
»Wer hätte das gedacht?«
Ich bin schon wieder unsichtbar, stellte Teriasch fest, doch noch im gleichen Atemzug änderte sich sein Zustand. Varia sah zu ihm auf, ein schiefes Lächeln im Gesicht. »Du hast dich wirklich für mich gelohnt. So was wie dich kriege ich nicht alle Tage. Gibt es irgendwo auf der Steppe noch mehr wie dich?«
Die Worte waren freundlich, doch Teriasch erkannte das Gift, das sie verbargen. »Nein«, log er. »Ich kenne keinen anderen, der eure Sprache spricht.« Du wirst Spuo nicht losschicken, um nach meiner Sippe zu suchen, du falsche Schlange.
»Wo hast du unsere Sprache gelernt?«
»Von einem Geist.«
»Ein Geist?« Varias Hand fuhr an ihre Brust, die Finger weit gespreizt. »Im Ernst?«
»Hör auf, mit dem Wilden zu schäkern, und verpass ihm ein Kollare«, verlangte Silicis. Statt den Kopf rieb er sich nun den Wanst. »Da will was raus, und ich spucke nicht gern in der Öffentlichkeit.«
»Natürlich nicht.« Varia stand auf. »Du bist ja bekanntermaßen ein Hüter der guten Sitten.«
Es raschelte, als sie in den Ausschnitt ihres Kleids griff und einen kleinen Schlüssel zutage beförderte, der an einer dünnen Kette um ihren Hals hing. Sie öffnete einen schwarzen Holzschrank hinter sich, fasste in rascher Folge in einige Fächer und breitete danach vier Gegenstände vor Silicis aus: eine Nadel, ein mit einer gelblichen Flüssigkeit gefülltes Glasfläschchen, ein rotes Kügelchen und einen Halsring, wie ihn alle Sklaven trugen, die Teriasch bisher im Reich der Harten Menschen gesehen hatte.
»Komm her«, forderte Varia ihn auf.
Er ging zum Tisch und schaute unschlüssig auf das Kollare. Es ist aus einem Stück, und es gibt daran kein Schloss. Wie wollen sie es mir anlegen? Wollen sie es mir über den Kopf streifen? Dafür ist es doch viel zu eng.
»Dann mach ich mich mal nützlich«, murmelte Silicis. Er nahm das Kügelchen und begann, es zwischen seinen Handflächen zu kneten.
»Keine Eile.« Varia pflückte mit Daumen und Zeigefinger die Nadel von der Tischplatte. »Man sollte hierbei nichts überstürzen, wie du weißt.« Sie lächelte Teriasch an. »Streck deine Hände vor, mein Goldstück.«
Teriaschs Ketten klirrten. Varia sog Luft durch die Zähne. »Jetzt schau dir nur deine Handgelenke an, du armes Ding. Ich hoffe, du hast Salbe daheim, Silicis.«
»Salbe!«, schnaubte der. »Wozu das denn?«
»Es geht mich ja eigentlich nichts an«, sagte Varia. »Er gehört dir. Aber bei der Summe, die du für ihn hast springen lassen, wäre es doch jammerschade, wenn ihm die Hände abfallen, findest du nicht?«
»Stimmt, es geht dich eigentlich nichts an«, erwiderte Silicis. »Aber ich habe den Burschen nicht gekauft, um ihn zu verzärteln. Ich habe ihn gekauft, weil meine Kundschaft einen Steppenhäuptling sehen will, und dann bekommt sie eben einen Steppenhäuptling, auch wenn er mich ein paar Rotas mehr kostet. Er hat heute noch einen großen Auftritt, und bei diesem Auftritt werden die paar Schrammen da seine kleinste Sorge sein.«
»Wie du meinst.« Varia zog Teriaschs rechte Hand zu sich. »Schön stillhalten, ja?«
Teriasch zuckte, als die Nadelspitze in seine Fingerkuppe stach. Varia hielt seinen Finger fest und gab einige beruhigende Laute von sich wie eine Mutter, die ein gestürztes Kind tröstete. »Leg das Wachs weg. Ich brauche die Flasche«, raunte sie Silicis zu.
Das Wachs rollte als dünner Wurm über den Tisch. Silicis löste den Pfropf, mit dem die Flasche
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