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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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verschlossen war. Ein unangenehmer, modriger Geruch stieg aus dem kleinen Gefäß auf.
    Das trinke ich nicht! Teriasch presste die Lippen zusammen.
    Varia ließ die Nadel auf den Tisch fallen und nahm die Flasche entgegen. Sie führte sie nicht an Teriaschs Mund, sondern zu seinem Finger, den sie kurz drückte, bis ein Tropfen Blut aus der kleinen Wunde quoll und von dort in die Flasche tropfte. Danach gab sie das Behältnis rasch an Silicis zurück. Er verschloss es, barg es in seiner Faust und schüttelte es.
    »Das reicht wahrscheinlich schon«, sagte Varia. »Zeig her!«
    Silicis präsentierte ihr die Flasche.
    Magie! Teriasch stockte der Atem. Ihm war, als wehte ein feuchter, kalter Hauch durch den Raum. Die Flüssigkeit in der Flasche war trotz des Schüttelns nicht einmal von den kleinsten Luftbläschen durchsetzt. Sie schien die Zähigkeit von Honig zu besitzen, und der Blutstropfen hatte sich nicht mit ihr vermischt. Stattdessen war er in die Masse hinabgesunken, ohne seine Form zu verlieren, und schwebte nun scheinbar in der Mitte der Flasche, zu allen Seiten von dem gelblichen, durchsichtigen Schleim umgeben.
    »Hervorragend«, sagte Varia.
    Während Silicis den Wurm aus Siegelwachs um den Pfropf herum festdrückte, zog sie Teriasch näher an den Tisch heran, sodass seine Beine gegen die Kante stießen. Sie legte ihm eine Hand in den Nacken und brachte ihn dazu, sich ein Stück vorzubeugen, dann nahm sie das Kollare und strich damit langsam über Teriaschs Fingerkuppe. Er ächzte erschrocken. Es war nicht die unerwartete Kälte des fremdartigen Metalls, die ihn mit Grauen erfüllte. Es war das leise Schmatzen, das er hörte, und das kräftige Saugen an seiner Haut. Es trinkt mein Blut!
    »Gleich ist es satt«, flüsterte Varia. »Nur noch ein bisschen …«
    »Pass auf, dass er mir nicht umkippt«, warnte Silicis.
    Teriaschs Schrecken wuchs, als ein Zittern durch den Ring lief. Auf der schimmernden Oberfläche zeichneten sich Wellen ab, wie auf dem Schuppenkleid einer kriechenden Schlange. Sie gingen von einem Punkt aus, an dem sich das Kollare immer weiter verdünnte. Eben war es noch so dick wie ein Finger gewesen, und jetzt war es an dieser Stelle nur noch ein schmales Band, dann ein einzelner Faden …
    Varias Hand, die den verfluchten Gegenstand hielt, schoss auf Teriasch zu. Er glaubte noch zu sehen, wie sich das Kollare im Griff der Frau wand und ganz auseinanderriss. Binnen eines einzigen Wimpernschlags glitten die beiden Enden über seine Kehle und zu seinem Nacken hin, wo sie sich vereinten. Das Kollare schmiegte sich in einer grausigen Liebkosung eng um seinen Hals und erstarrte. Es blieb kalt, nahm nichts von der Wärme seiner Haut auf. Kühles Blut stieg ihm in den Schädel. Seine Ohren waren mit einem Mal von einem Wispern erfüllt, wie von unzähligen Stimmen, die doch alle die gleichen Worte sprachen. Drängend, flehend. »Wir lieben dich. Bleib bei uns. Geh nie fort.« Wieder und wieder, bis das Wispern wie Donnerhall war.
    Teriasch sank auf die Knie, schlug die Hände vors Gesicht, schloss die Augen. Er sah schwarze Wasser vor sich, die unter einem stahlgrauen Himmel spiegelglatt in eine unendliche Ferne reichten. Tief drunten in der Düsternis glomm ein blauer Schein auf, der die schemenhaften Umrisse einer Kreatur preisgab. Ein runder, aufgedunsener Leib, prall wie der Bauch eines toten Pferdes, der von der Fäulnis gebläht war. Die Gliedmaßen, die überall aus ihm wuchsen, waren Schläuche aus Muskeln, die sich unablässig durch das Dunkel nach oben tasteten.
    »Nein«, flüsterte Teriasch. »Nein.« Eine grauenhafte Erkenntnis packte ihn. Sie haben mich belogen. Alle beide. Der Geist der Geschichten und Arka. Im Land der Harten Menschen gibt es keine Freiheit für mich. Wenn dieses Ding da unten einen erst berührt hat, wie soll man danach je wieder frei sein? Es war eine Kränkung, auf die Teriaschs Fühlen nur eine Antwort fand: All sein aufgestauter Zorn, den er selbst dann noch im Zaum gehalten hatte, als er vorhin auf dem Podest vorgeführt worden war wie ein Stück Vieh, entlud sich in einem wilden Aufbegehren. Glühend heiß brannte er in jeder Faser seines Körpers, und er brüllte ihn aus vollem Hals in die Welt hinaus. Er brüllte und brüllte, um das Wispern zu übertönen. Um die vielarmige Kreatur, die ihn packen und verschlingen wollte, in die Dunkelheit zurückzutreiben. Und um einer bruchstückhaften Erinnerung nachzugeben. Daran, wie er schon einmal so gebrüllt

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