Heldin wider Willen
herrührte. Die Schildtechnik diktierte die glatten Kurven: Die effizienteste Rumpfform für maximale Schildeffizienz war die Kugel. Kugelförmige Schiffe hatten sich jedoch in der Schlacht nicht bewährt; man hatte sie einfach nicht mit Triebwerken ausrüsten können, die die
benötigte zuverlässige Manövrierfähigkeit boten – sei es im systeminternen oder überlichtschnellen Bereich. Die einzigen Kugelschiffe, die heute Dienst taten, waren kommerzielle 349
Großfrachter, bei denen der Gewinn an Innenvolumen und
wirkungsvolle Abschirmung gegen normalen Weltraumschrott die verringerte Manövrierfähigkeit lohnten.
Und so war ein Patrouillenschiff wie die Wraith eher eiförmig mit einer deutlichen Längsachse. Der Bug hätte eigentlich ein stumpfes, abgerundetes Ende sein müssen, nur wenig spitzer als das Heck. Was Esmay jedoch zu sehen bekam, war ein
zerknautschtes Chaos, und der im Grundzustand mattschwarze Rumpf zeigte das Glänzen geschmolzener und verschmolzener Außenhaut. Achtern schienen die glatten Kurven der
Antriebskapseln unbeschädigt, obwohl Esmay von Sorgen in der Abteilung für Antrieb und Manöver gehört hatte, die das
Springen mit unausgewogenem Rumpf anbetrafen.
Esmay riskierte einen Blick über die Schulter, obwohl die Körperdrehung sie wie ein Kinderspielzeug um die Sicherungsleine rotieren ließ. Die gewaltige Masse der Koskiusko blockierte die Sterne noch weit über die Scheinwerferbänke hinaus, die das Patrouillenschiff fest im Blick hielten. Esmay konnte nicht mal richtig erkennen, wo die Arbeitslampen auf der Außenseite in die Sterne am dunklen Himmel übergingen.
Jemand stieß ihr an die Schulter. Richtig. Mit der Arbeit weitermachen. Esmay zog sich wieder an der Leine entlang und schenkte sich weitere Touristenblicke. Der beschädigte Rumpf der Wraith rückte allmählich näher. Jetzt sah Esmay die hellen Spuren von Fragmenten – ob von den Geschützen oder dem
eigentlichen Rumpf, das konnte sie nicht feststellen –, die sich vor der normalen dunklen Rumpfbeschichtung abzeichneten.
Der Einstieg klaffte vor ihr, schartig und wenig einladend.
Etwas stieß flüsternd an ihren Helm, und sie hielt ruckartig an.
Jemand tappte ihr entschieden auf die Schulter, und sie setzte 350
den Weg fort. Mit einem Augenblick Verzögerung reagierte der Verstand auf das Flüstern, und ihr wurde klar, dass es von winzigen Gegenständen stammen musste, die aus dem
aufgebrochenen Rumpf entwichen: Wahrscheinlich Eiskristalle von der immer noch aus Lecks entweichenden Luft, die die Besatzung nicht hatte vollständig abdichten können.
Esmay erreichte den roten Abschnitt der Leine und war damit nur noch zehn Meter vom Ende entfernt. Vor ihr hatte jemand schon die erste der Zweigleinen angeheftet, die das Arbeitsnetz bilden würden. Für den Augenblick hatte Esmay ihren
Arbeitsplatz erreicht. Sie schloss den Schlitten um ihre Sicherungsleine, heftete die sekundäre Stabilisierungsleine an, die ihre Rotation auf eine Ebene beschränken sollte, und winkte die anderen vorbei.
Als der Videoscan-Recorder auf das Loch gerichtet war und die Arbeit ihren Lauf nahm, konnte Esmay sich von dem
Gedanken daran befreien, wo sie sich gerade aufhielt. Major Pitak wollte Details erfahren – mehr Details und noch mehr Details. »Überstürzen Sie es nicht«, hatte sie gesagt. »Nehmen Sie sich Zeit – bleiben Sie an der Zehn-Meter-Leine, bis Sie sicher sind, dass Sie mir von dort aus alles gezeigt haben, was Sie nur konnten. Dort kommen Sie den Gerüstteams nicht in die Quere, sehen aber trotzdem eine Menge. Jedes Detail kann uns helfen. Jedes.«
Und so hing Esmay in ihrem Geschirr und fuhr mit der
Kamera des Recorders an der Kante des Rumpfbruchs entlang.
Alles? Prima, dann verwandte sie halt einige Minuten auf diese hellen Spuren, darauf, wie sich die Rumpfhaut dort abgeschält hatte, um einen verdrehten Träger freizulegen, sowie auf die seltsame Wölbung bugwärts der Bruchstelle. Als Esmay einen 351
halben Würfel mit den Bildern von dieser Stelle gefüllt hatte, hatte die Gerüstmannschaft die wichtigsten Netzlinien montiert und damit die Stellen bestimmter einzelner Schäden markiert.
Esmay signalisierte dem Chief ihre Absicht, erhielt die
Genehmigung und klemmte sich an eine der Querleinen.
Hier draußen war es wirklich nicht so schlimm, dachte sie.
Sobald sich der Magen an die Schwerelosigkeit gewöhnt hatte, machte es irgendwie Spaß, an der Leine entlangzuzischen und nur gelegentlich
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