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Heldin wider Willen

Heldin wider Willen

Titel: Heldin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Moon
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Fehler begangen zu haben … Aber es gab Gründe. Ich hatte um Rat gebeten …«
    »Tue es nicht«, sagte sie schroff. »Suche keine Ausreden. Ich bin nicht dumm; ich kann sehen, wie du die Realitäten gern bezeichnen würdest. Er …« Sie konnte sich nicht überwinden, ihren Mund mit seinem Namen zu beschmutzen. »Er war
    Offizier, der Sohn eines Freundes; ein Bürgerkrieg tobte; du konntest keine Fehde riskieren …« Das Gedächtnis verriet ihr, dass der Vater des jungen Mannes selbst eine ansehnliche Streitmacht befehligt hatte. Nicht nur eine Fehde also, sondern potenziell einen verlorenen Krieg. Die eigene militärische Ausbildung gab dem Leid eines Kindes – sogar ihrem eigenen Leid – weniger Gewicht als einem ganzen Feldzug. Aber das Kind, das sie einst war, dessen Schmerz immer noch ihre
    Reaktionen färbte, das Kind, dessen Zeugnis man geleugnet hatte, verweigerte dieser einfachen Antwort die Zustimmung.
    Sie war nicht das einzige Opfer gewesen – und für die Opfer war kein militärischer Sieg genug … Die Siege waren nicht für sie errungen worden und halfen ihnen nicht. Und doch hätte eine Niederlage nur noch mehr von dieser Erfahrung versprochen.
    Sie kniff die Augen zu und bemühte sich, all die Gefühle einzusperren, die am liebsten ausgebrochen wären, sie wieder in 158
    der Dunkelheit einzuschließen. »Eine Verjüngung war gar nicht nötig, um dich umsichtig zu machen«, sagte sie und schleuderte damit die einzige Waffe auf ihn, die ihr zur Verfügung stand.
    Eine kurze Zeit des Schweigens trat ein, in der der Atem ihres Vaters so rau ging wie ihrer an jenem bitteren Tag.
    »Du brauchst Hilfe, Esmaya«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang fast wieder normal, warm und gleichmäßig; der General, der sich selbst im Griff hatte, die Gewohnheit eines ganzen Lebens. Und gern hätte sie sich unter dem Versprechen väterlicher Liebe und väterlichen Schutzes entspannt.
    Sie wagte es nicht. »Wahrscheinlich brauche ich sie wirklich«, sagte sie. »Aber nicht hier. Nicht jetzt.« Nicht in Gesellschaft des Vaters, der sie verraten hatte.
    »Du wirst nicht zurückkehren«, sagte er. Dumm war er nie gewesen, nur selbstsüchtig. Das war nicht ganz fair, aber er war es schließlich auch nicht. Jetzt sah er sie an, mit einem so offenen Blick, wie er ihn vielleicht einem Kommandeur
    geschenkt hätte, den er respektierte. »Du wirst nie mehr zurückkehren, nicht wahr?«
    Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, jemals zurückzukehren, war aber auch nicht ganz bereit, sich darauf festzulegen. »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht, aber … Ich kann es dir genauso gut auch sagen … Ich habe mit Luci eine Übereinkunft getroffen, was die Herde angeht.«
    Er nickte. »Gut. Ich hätte das nicht tun sollen, aber… Ich hatte trotzdem die Hoffnung, du wärst für immer heimgekehrt, besonders nachdem sie dich so behandelt hatten.«
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    Hast du mich vielleicht besser behandelt?, schwebte auf ihren Lippen, blieb aber unausgesprochen. Ihr Vater schien es
    trotzdem gehört zu haben.
    »Ich verstehe«, sagte er. Das stimmte zwar nicht, aber sie hatte nicht vor, einen Einwand zu erheben, nicht jetzt jedenfalls.
    Jetzt wollte sie einfach nur weg, weit weg, und etwas Zeit für sich haben. Sie vermutete, dass sie letztlich einige Zeit bei Psychopflegern der Flotte verbringen musste, aber vorläufig …
    »Bitte, Esmaya«, sagte er. »Besorge dir bei der Flotte Hilfe, wenn du sie hier nicht annehmen möchtest.«
    »Ich werde zum Tal hinausreiten«, sagte sie und ignorierte seine letzte Äußerung. Er hatte nicht das Recht, ihr zu sagen, was sie wegen der Wunde unternehmen sollte, die er ihr
    zugefügt hatte. »Nur für einen Tag. Morgen. Ich möchte keine Gesellschaft haben.«
    »Ich verstehe«, sagte er wieder.
    »Keine Überwachung«, sagte sie und erwiderte seinen Blick unverwandt. Er blinzelte als Erster.
    »Keine Überwachung«, stimmte er zu. »Aber falls du über
    Nacht wegbleibst, teile es uns bitte mit.«
    »Natürlich«, sagte sie, und ihre Stimme entspannte sich, wie es seine getan hatte. Sie ähnelten sich in einer Weise, wie es ihr noch nie aufgefallen war; noch im Zorn spürte sie plötzlich das Bedürfnis, ihm von der Meuterei zu erzählen, wohl wissend, dass er ihr Vorgehen nicht überraschend, nicht unerklärlich finden würde wie die Offiziere der Familias.
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    Sie ging hinaus in den Nachmittag und empfand nichts als eine große, leichte Leere, als wäre sie eine Samenkapsel im
    Spätsommer, bereit,

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