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Heldin wider Willen

Heldin wider Willen

Titel: Heldin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Moon
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musste sein.
    Dann zog sie es doch vor, zu Fuß zu gehen und das Pferd zu führen, bis sich ihre Beine besser fühlten. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, war es später Vormittag. Sie wollte nicht wirklich weiter bis ins Tal, aber wo sonst konnte sie sich hinwenden? Jemand würde fragen, wohl wissend, welches Ziel sie immer hatte … Sie zog sich in den Sattel hinauf und ritt weiter.
    Das Tal war kleiner, als sie in Erinnerung hatte. Die Kiefern, die Pappeln, der Bach, die Wiesen. Sie sah sich um und
    versuchte etwas zu empfinden … Es war ihr Tal, würde es
    immer bleiben … Aber alles, was sie empfand, waren Schmerz und Leere. Sie rutschte vom Pferd und nahm ihm die
    Gebissstange aus dem Maul. Sie konnte herumspazieren und ihm eine Stunde lang Gelegenheit geben zu grasen, ehe es wieder nach Hause ging. Sie erinnerte sich auch noch daran, dass sie ihm den Sattelgurt lockern musste, holte dann eine Wasserflasche herunter und trank. Ihr Körper verlangte nach Nahrung, aber der Verstand nicht; sie hatte das Mittagessen, das die Köche für sie eingepackt hatten, halb vertilgt, ehe der 166
    Verstand den Sieg davontrug, und sie erbrach wieder, was sie gegessen hatte.
    Anschließend fühlte sie sich schwach und saß auf dem kalten Boden, den Kopf auf den Knien; das Pferd rupfte in der Nähe am Gras, und das Reißen und Kauen durchsetzte Esmays
    Gedanken. Was konnte sie tun? Leere hinter ihr, Leere vor ihr.
    Inmitten dieser Leere: Die wenigen leuchtkräftigen Augenblicke, an denen sie etwas richtig gemacht und jemand anderen gerettet hatte. Heris Serrano. Vida Serrano. Was würden sie jetzt sagen, wenn sie von all dem wüssten? Würde es erklären, was der Admiral hatte erklärt haben wollen? Würde es etwas ändern? Oder wäre es noch schlimmer, viel schlimmer, wenn sie wüssten, was mit ihr passiert war? Sie trug bereits schwarze Zeichen; und von Kindheit an wusste sie, dass im Lauf einer militärischen Karriere nie etwas vergessen oder verziehen wurde. Falls sie nicht wieder nur der farblose, gewöhnliche junge Offizier von einem Hinterwaldplaneten wurde, der
    zufällig einmal das Richtige getan und einer Serrano den Hals gerettet hatte … Falls sie zugab, dass sie verwundet war, gebrochen, dass sie an Albträumen litt… Das musste sie noch mehr in Gefahr bringen. Damit war sicher das Risiko
    verbunden, dass man sie hinauswarf, nach Hause schickte …
    Nur dass sie kein Zuhause hatte. Nicht in diesem Tal und nirgendwo sonst.
    Als ihr Kopf wieder etwas klarer wurde, überwand sie sich, erneut zu trinken und die zweite Hälfte des Mittagessens zu verzehren. Diesmal konnte sie es behalten. Es schmeckte nach Staub und Holz, aber sie behielt es.
    Sie war ein gutes Stück vor der Abenddämmerung zu Hause
    und übergab das bereits trocken geriebene und abgekühlte Pferd 167
    dem Stallknecht, bei dem sie sich bedankte. Ihre Stiefmutter hielt sich in der Eingangshalle auf; Esmay nickte ihr höflich zu.
    »Ich bin zu weit geritten«, sagte sie. »Ich brauche ein langes Bad und muss dann ins Bett.«
    »Kann ich dir ein Tablett hinaufschicken?«, fragte die
    Stiefmutter. Es war nicht ihre Schuld, war es nie gewesen; Esmay wusste nicht mal, ob sie Bescheid wusste. Falls ihr Vater ein solches Geheimnis bewahrt hatte, vielleicht wusste es die Stiefmutter selbst jetzt noch nicht.
    »Danke«, antwortete Esmay. »Eine Suppe und Brot wären
    prima – ich bin einfach nur zu müde.«
    Sie schaffte es, ins Bad und wieder heraus zu steigen, und sie nahm das Essen von dem Tablett zu sich, sobald es eingetroffen war. Sie stellte das Tablett wieder auf den Flur hinaus und legte sich ins Bett. Sie konnte gerade eben noch eine Ecke des Briefs der Urgroßmutter auf dem Regal sehen. Sie wollte ihn sich nicht ansehen; sie wollte sich überhaupt nichts ansehen.
    Am nächsten Morgen fühlte sie sich etwas besser. Luci, die eindeutig von nichts wusste, wollte, dass sie herauskam und sich eine Ausbildungsstunde mit der braunen Stute ansah. Esmay fiel keine höfliche Ausrede ein, und nach einem Teil der Stunde kam sie genügend aus sich heraus, um zu bemerken, dass ein Schrittfehler beim Kantern an Lucis Schwierigkeit lag, ihre nach außen weisende Hüfte in der richtigen Stellung zu halten. Luci akzeptierte die Feststellung würdevoll und bot ihr eine Tube Einreibemittel gegen die Steifheit an. Gemeinsam gingen sie zum Mittagessen ins Haus.
    Am Nachmittag konnte sie den Besuch bei Urgroßmutter
    nicht länger hinausschieben.
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    »Du bist sehr

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