Heldin wider Willen
detailliert sämtliche Spiele zu schildern, in denen sie mitgespielt hatten.
Esmay hörte ihnen lange genug zu, um endlich zu kapieren, wie die Regeln funktionierten, warum man mit zwei Bällen spielte (jede Mannschaft hatte einen eigenen), und dass man mit dem gegnerischen Ball Tore nur im dritten, »neutralen« Tor erzielen konnte. Es schien ihr trotzdem ein sinnlos kompliziertes Spiel 199
zu sein, und für Nichtspieler ein so langweiliges
Gesprächsthema wie jeder andere Sport.
Sie gab schließlich auf und fing an, die Technikwürfel des Versorgungsschiffs zu lesen. Inventursteuerung, Prinzipien und Praxis. Die Konstruktion automatischer Inventursysteme. Sogar ein Artikel über »Erkennungssysteme für ortsfeste Munition« –
die zu benötigen sie sich einfach nicht vorstellen konnte – war immer noch besser als die achtundachtzigste Rekapitulation eines Spiels, das sie nicht gesehen hatte und wofür sie sich nicht interessierte. Sie war überzeugt, dass sie niemals direkt einer Barasci-V-845-Mine oder ihrer noch scheußlicheren Kusine, der Smettig-G-Serie, gegenüberstehen würde, aber sie starrte aufs Display, bis sie sicher war, sie wieder zu erkennen, falls sie jemals das Pech hatte, eine zu sehen.
Station Sierra diente sowohl militärischen wie zivilen Zwecken, aber die Flotte hatte den Vorrang. An zwei langen Armen
dockten nur Militärfahrzeuge an; Esmay studierte die Namen, die über den Bildschirm der Offiziersmesse wanderten:
Pachyderm war der älteste noch Dienst tuende Kreuzer der Flotte und gleichzeitig ihr größter; Plenitude, Savage und Vengeance waren Kreuzer ganz ähnlich der Vigilance von Heris Serrano. Die Plenitude war mit einem Stern gekennzeichnet –
sie war das Flaggschiff irgendeiner Kampfgruppe. Eine Schar Patrouillenfahrzeuge: Consummate, Pterophil, Singularity, Autarch, Rascal, Runagate, Vixen, Despite… Die Despite? Was tat die Despite denn hier?
Esmay fror am ganzen Körper. Sie hatte dieses (in einer
Hinsicht) sehr glückliche und (in anderer Hinsicht) sehr unglückliche Schiff fast auf der gegenüberliegenden Seite des 200
Raumes der Familias verlassen … Und sie hatte nicht damit gerechnet, die Despite wieder zu sehen, es sei denn, sie würde in ihren Sektor versetzt. Warum hatten sie sie überhaupt verlagert?
Und warum unter allen möglichen Standorten hierher?
Sie wollte es gar nicht wissen. Sie wollte dieses Schiff nicht wieder sehen; die Erinnerung an den Sieg konnte nicht die Erinnerung daran auslöschen, was vorher passiert war, diese blutige Meuterei, und auch nicht an die Fehler, die Esmay später beging.
Sie schüttelte diese Gedanken ab. Sie konnte sich nicht
erlauben, durch diese Begegnung nervös zu werden, und es war unwahrscheinlich, dass sie irgendwas mit der Despite oder ihrem neuen Kommandanten zu tun haben würde.
Koskiusko stand gerade auf dem Monitor, und der Name blinkte, weil Esmay ihn als Suchbegriff eingegeben hatte. Sie notierte sich Halle und Docksnummer in ihrem persönlichen Compad. Ein Winkel des Bildschirms wurde gelb und zeigte in Blau die Nummer des Docks, in dem ihr Schiff anlegen würde.
Esmay sah auf der Stationskarte nach … Die Koskiusko lag weit draußen am äußersten Ende des längsten Ausläufers, aber auf dem Weg dorthin kam Esmay nicht an der Despite vorbei.
Als sie das Tor erreichte, kontrollierten zwei Sicherheitsleute der Flotte erneut ihre Befehle. Zu ihrer Überraschung trafen sie keinerlei Anstalten, die Zugangsluke zu öffnen. »Das dauert ein paar Minuten, Lieutenant«, sagte einer von ihnen. Seine
Uniform zeigte die Streifen eines Sergeants, und auf dem Einheitensticker war Station Sierra zu lesen, nicht Koskiusko.
Esmay bemerkte, dass das Deck vor dem Tor nirgendwo die
traditionellen Streifen zeigte, die Schiffsterritorium von 201
Stationsterritorium trennten. »Sie haben eine Kapsel geschickt, aber sie ist noch nicht da.«
»Eine Kapsel?«
»DSRs docken nicht direkt an einer Station an.« Der Tonfall war bedacht respektvoll, aber Esmay hatte das Gefühl, gerade eine dumme Frage gestellt zu haben. »Sie sind zu groß – die relativen Massen würden einander mit ihrer Schwerkraft übel zusetzen.« Eine Pause, dann in neutralem Ton: »Möchten Sie die Koskiusko gern sehen, Lieutenant?«
»Ja«, antwortete Esmay. Sie hatte schon demonstriert, dass sie keine Ahnung hatte; da konnte sie genauso gut lernen, wenn sich die Möglichkeit bot.
»Dann hier entlang.« Auf dem Tordisplay zeichneten sich die
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