Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
HelHeg-AxoRoa

HelHeg-AxoRoa

Titel: HelHeg-AxoRoa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
gleichzusetzen mit unklaren Oberbauchbeschwerden. Das sagen die immer, wenn ihnen nichts mehr einfällt.«
    Ich sitze im Gemeindehaus der evangelischen Kirche Düsseldorf-Düsseltal und feiere gezwungenermaßen Weihnachten, sechsjährig und im Rahmen einer von meiner Klassenlehrerin organisierten Veranstaltung. Gelber Laminatboden, braune Vorhänge, Raufasertapete und Schaukastenaushänge. Meine Mutter schenkt mir zwei aus Überraschungseiern und Watte gebastelte Weihnachtsmänner. Ich tue so, als wäre ich zu Tränen gerührt.
    »Siehst du die Scheiße, die hier überall rumliegt? Das Papier da vorne?«, fragt sie. Ich nicke.
    »Die anderen Eltern haben ihren Kindern auch alle diese Weihnachtsmänner geschenkt, und die haben sie einfach kaputtgemacht, weil sie auf die Scheißschokolade geil waren. Die Eltern haben sich so eine Mühe gegeben, und diese Dreckskinder machen die Weihnachtsmänner einfach kaputt und schmeißen sie in irgendeine Ecke.«
    Meine Mutter fängt an zu weinen, ich umarme sie. Es gibt keine Täter, es gibt nur Opfer. Je jünger ein Kind ist, desto schuldiger ist es. Je verantwortlicher ein Kind für sein soziopathisches Eltern teil ist, desto souveräner kann es mit seiner juristischen Schuldfähigkeit umgehen.
    0 Uhr 8. Vielleicht ist man erst dann unschuldig, wenn man keine Vorstellung von Moral mehr hat, denke ich dann irgendwann und finde mich dabei total unsympathisch. Diese sich verselbständigende Altklugheit muss ich mir dringend abtrainieren. Als Ophelia mich durch die Gegensprechanlage begrüßt, wirke ich so, als wäre der Schmerz entweder nicht existent oder bereits verarbeitet worden. Vier Stockwerke und eine Frau, die unsere Seelenverwandtschaft nur um ihrer selbst willen schätzt. Sie steht rauchend im Türrahmen und trägt ein pinkblaugestreiftes Satinnachthemd.
    »Du rauchst zu viel, Mifti!«
    »Warum? Weil ich so keuche?«
    »Ja. Und weißt du was? Ich finde das so großartig, diese Vorstellung von uns als kulturvernichtendes Team.«
    Ophelias in eine Wohnung umfunktionierter Lager- und Industrieraum ist 290 Quadratmeter groß. Der Fußboden ist aus Beton, die Wände sind aus vier Zentimeter dickem Rigips. Ihre Kunstsammlung wird von Genre- und Landschaftsmalerei dominiert, religiöse Motive und die sich seit den siebziger Jahren verstärkende Moderne-Postmoderne-Diskussion fehlen fast völlig. Sie verfrachtet mich auf einen ihrer Sessel, bietet mir probiotischen Joghurt an und fragt: »Warum genau bist du jetzt eigentlich hier?«
    Ich zucke mit den Schultern. Würde ich in der Lage sein, vor Menschen aus Fleisch und Blut zu weinen und nicht bloß vor mir selbst in den zu ihnen gehörigen Hauseingängen, fiele sowohl mir als auch den Menschen aus Fleisch und Blut so einiges leichter.
    »Mifti, du bist zu gut, zu jung, zu vielversprechend, zu begabt. Ich werde dich verjagen, wenn du hier jetzt so eine Show abziehst. Ich verjage alle, die ich liebe, dann merke ich auch was. Ich war in Salem. Salem ist im Endeffekt total armselig. Ich habe alles richtig gemacht, es funktioniert aber nichts. Ich habe meine Asozialität, die sich unter der Fassade meiner Empathie tarnt, dort perfektioniert. Ich bin so alt wie alle, wenn sie sterben. Deswegen bist du die Überlegenere.«
    Ich sage nichts.
    »Hat die Scheiße hier jetzt wieder irgendwas mit deiner Mutter zu tun? Willst du mir nicht endlich mal erzählen, wie deine Mutter war?« »Sozialhilfeempfängerin, versoffen, trotz allem Chanel-Kostüm.« »Und was ist passiert heute?«
    »Ich war gestern mit Pörksen und Tina auf dieser Unerforschte-Territorien-Party.«
    »Warum hast du mir keine SMS geschrieben? Good day to rassle, wrestle and fight or gutpunching.«
    »Was?«
    »Ja, Mifti, mich hat da mal jemand gefragt, ob er mir so 'ne krasse Mittelaltergabel ins Brustbein rammen darf. Hab mich natürlich unaufdringlich dagegen zur Wehr gesetzt und so getan, als müsse ich dringend zur Bar - das macht man ja immer, so tun als müsse man wahnsinnig dringend zur Bar -, aber diese Situation hat mir ein weiteres Mal vor Augen geführt, dass alles möglich ist. Du kannst nicht nur Auberginen in Arschlöcher versenken, du kannst auch versuchen, vier Metallspitzen in das Fleisch unter dem Kiefer einer Unbekannten zu rammen.«
    »Jedenfalls war ich da.«
    »Genau, da waren wir vorhin stehengeblieben.«
    »Und es war auch total o. k., obwohl ich flächendeckend überfordert war mit diesen im Fetisch beheimateten Glatzköpfen.Worauf ich hinauswill:

Weitere Kostenlose Bücher