HelHeg-AxoRoa
ich bin minderjährig.«
»Nein, Mifti. Du bist nicht sechzehn, du bist seit neuestem ein indirekter Teil meines Lebens.«
Ihr Kopf fällt langsam der Tischplatte entgegen. Ich streichle ihren Rücken und warte, bis sie ihren von einer plötzlichen Wahrnehmungsveränderung außer Gefecht gesetzten Körper wieder unter Kontrolle hat. Es dauert eine Ewigkeit.
»Oder eher ein direkter Teil. Mifti?«
»Ja?«
»Ich besorge dir noch eine Einladung, und du kommst am nächsten Freitag mit nach Charlottenburg zu Gloria und Thomas, die feiern da ihre Hochzeit, abgefuckt, Charlottenburg halt. Emre legt da auf. Er isst ein reines Blutwurstbrot. Ich hasse Fleischessen, aber manchmal, und zwar ganz selten, habe ich einen Scheißhunger auf ein fettes Blutwurstbrot.«
»Machst du auch Koks klar?«
»Ich gebe kein Geld mehr für Drogen aus, die Musik nicht zum Klingen bringen.«
»Aber ich muss wirklich mal wieder koksen, Ophelia. Wenn einem langweilig ist, und das ist mir gerade, oder zumindest wäre mir langweilig, würden wir hier gerade nicht zusammen sitzen, jedenfalls: Wenn einem langweilig ist, denkt man doch immer direkt an Drogen.«
»Ich liebe dich, Mifti.«
»Wer ist Emre eigentlich?«
»Der Mann meines Lebens.«
»Und wie ist Emre so drauf?«
»Sozialhilfeempfängerin, versoffen, Chanel-Kostüm.«
Um 3 Uhr 55 wache ich auf Ophelias Schlafzimmerboden auf und beschließe, ihre Wohnung auf direktem Wege zu verlassen. Ophelia liegt schwer atmend in ihrem vollgekotzten Doppelbett. Ich kratze hektisch aus den überall im Raum verteilten, mit Fünf-Cent-Münzen gefüllten Porzellanbehältern Geld für Zigaretten und eine Kurzstrecke zusammen. Nachdem ich die Schlafzimmertür so leise wie möglich zugezogen habe, sprinte ich mit beiden Händen voll Kleingeld durch den kilometerlangen Wohnungsflur dem Ausgang entgegen. Von einer Sekunde auf die andere fange ich an, unter einer psychischen Störung zu leiden, die mit einem zeitweiligen Verlust des Realitätsbezuges einhergeht: Ich höre Stimmen. Ich werde hysterisch. Auffällige Symptome für eine Psychose sind Halluzinationen. Ich betrachte nicht mich selbst, sondern mein Umfeld als verändert und erlange keine Krankheitseinsicht, das fällt mir jetzt spontan dazu ein. Die Stimmen kommen aus der noch vor wenigen Stunden mit Heroinschwaden vollgeräucherten Küche und unterhalten sich über eine Kunstform, die ihren Ausdruck in der Produktion bewegter Bilder findet:
»Ja also, ich finde, du gehst da dann so rüber und dann musst du spielen, dass du in der Wut von Marie deine eigene Verzweiflung wiedererkennst.«
Als ich die Küche betrete, stehen da fünfzehn Personen herum, die sich entweder über die Widersprüchlichkeit ihrer Rollen unterhalten oder im Hintergrund geleuchtete Lichteffekte korrigieren.
Ich frage: »Entschuldigung, aber was geht denn hier?«
Naheliegenderweise werde ich angeguckt, als wäre ich der dünnhäutigste Mensch der Welt.
»Ich weiß, es gibt niemanden, der mich NICHT anstarrt als wäre ich der dünnhäutigste Mensch der Welt, aber was passiert hier gerade? Habt ihr das mit Ophelia abgesprochen?«
Ein total dünner Aufnahmeleiter in Picaldi-Jeans guckt dermaßen unberechenbar zu mir rüber, dass ich verstumme und mich unauffällig aus der Küche zurück zu Ophelias Schlafzimmer schleiche. Ich reiße die Tür auf und schreie: »Ophelia, in deiner Küche sind fünfzehn Menschen!«
Sie wacht ruckartig auf und schmeißt diesen Scheißschuh nach mir, den sie letzte Woche bereits über die Tür einer Klokabine geschmissen hat. Danach lässt sie sich wieder in ihre Daunenkissen fallen.
»Was geht denn da, Ophelia? Da sind fünfzehn Menschen in deiner Küche.«
»Sind die echt schon da?«
»Ja, die sind echt schon da!«
»Haben sie Kameras und Lampen und so was dabei?« »Ich glaube schon.«
»Dann dreht meine Freundin Frauke da gerade 'ne Szene für ihren Abschlussfilm, in dem so ein Typ Zyankali in das Tampon von seinem Girlfriend reintut, damit das Girlfriend stirbt. Ist doch geil, oder? Solange ein Film in meiner Wohnung gedreht wird, ist definitiv gewährleistet, dass er sich von dieser jungen deutschen Sozialrealismusscheiße absetzt.«
In der Küche bediene ich mich souverän an dem auf einem Tapeziertisch angerichteten Catering. Ich werde nicht beachtet, esse ein Nutellabrötchen und beobachte währenddessen eine überschminkte Frau in Netzstrumpfhosen dabei, wie sie: »Hör endlich auf mit deinen Scheißdrogen, Jürgen! Ich
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