HelHeg-AxoRoa
die ein gefährliches Eigenleben entwickelt haben und sich jetzt gegen dich richten. Du richtest dich gegen uns. Du bist erwachsen, Mifti.«
»Boah, wie du redest, ey.«
»Du forderst hier gerade dein Recht ein, gefoltert zu werden, sehe ich das richtig?« »Ja, toll.«
Man wird als pseudobelastungsgestörte Dreijährige aus seinem Bett über den Parkettboden gezerrt und findet sich nach einigen Minuten der totalen Orientierungslosigkeit unter dem Schienbein seiner Halbschwester wieder, die ihre sadistische Ader entdeckt hat und mit ihrem Ellbogen meinen Hinterkopf zu zertrümmern versucht. Sie kniet auf meinem Rücken, weil mein Körper im Gegensatz zu mir selbst ein auf körperliche Schmerzen reagierendes Reflexbündel ist, das nicht stillhalten kann. Ich schreie. Selbst das Schreien hat nichts mit mir selbst zu tun, sondern mit der unvermittelten Reaktion eines Organismus auf einen bestimmten Reiz. Ich bin nicht meine Schreie, ich bin nicht mein physisches Schmerzempfinden, ich bin kein Tier. Ich habe komischerweise Hunger. Man denkt in solchen Situationen ja immer an die nichtigsten Sachen. Vor zwei Wochen ist mir wieder so was Komisches passiert, als ich nachts durch die Choriner Straße gelatscht bin und auf der gegenüberliegenden Straßenseite plötzlich so eine megaaggressive Gruppe kleiner Vollprolls gesehen habe. Mit Basecaps, in die Socken gesteckten Billigjeans und einem Schwerstminderjährigen Girl in spitzen Pumps von Deichmann im Schlepptau. Die haben dann in gemeinschaftlicher Ideenvielfalt eine leere Bierflasche in meine Richtung geworfen. Ich habe meine Kopfhörer aufgesetzt. Die zweite Flasche landete direkt vor meinen Füßen, und die Typen überquerten die Straße.
»Bleib stehen, du hast sowieso keine Chance«, sagte der Hässlichste von ihnen, während ich noch immer an dem Glauben festhielt, die irgendwie mit ein paar gekonnten Fußtritten allesamt in Grund und Boden stampfen zu können. Dann kickte jemand von hinten seinen Fuß in mein Blickfeld, ich konnte gerade noch ausweichen. Das Einzige, woran ich dachte, waren die Nummern in meinem Handy. Nicht das Handy. Bitte nicht das Handy.
Der Hässliche dann irgendwann so: »Ey, hassu gerade Nazigruß gemacht zu mir oder was?«
»Wie bitte?«
»Ich hab's gesehen, du hast gerade Nazigruß gemacht, Alter!«
»Nein, hab ich nicht.«
»Ich hab's doch gesehen, ey!«
»Spinnst du? Ich hab meine Kopfhörer aufgesetzt, ich bin selber Ausländerin!« Die Miene der Typen versteinerte sich, und dann veränderten sie ihre Haltung und waren alle ziemlich verwirrt. »Krass, Entschuldigung, wir dachten, Sie wären Nazi.«
»Nein, Mann! Ihr könnt doch nicht durch die Choriner Straße laufen und Leute plattmachen.«
»Naja, wir machen das immer so, also Erhan kickt dann immer, und dann liegen die Leute auf dem Boden, und dann gehen die anderen noch mal drauf.« Erhan so: »Ja, sorry, der Kick, zum Glück habe ich nicht getroffen.« »Haben Sie eine Zigarette für uns?«
Mein Kopf blutet. Ich bin ausgeglichener denn je. Ich liege als klar zu erkennendes Opfer mit blutendem Hinterkopf auf dem Bauch und genieße den Zustand der totalen Verantwortungslosigkeit. Der totalen Unschuld, weil es sich bei der ganzen Scheiße um eine besonders schwere Verletzung des Kindeswohls handelt. Offenbar steht mir ein Kindeswohl zu, offenbar wird mir mein Kindeswohl vor Augen geführt, indem es verletzt wird. Offenb ar bin ich un abhängig genug von Annika, um in ihrem strafrechtlich zu ver folgenden Handeln nur meine mit selbigem einhergehenden Vorteile zu erkennen. Ich bin unabhängig genug von meiner Schwester, um ihr hyperventilierend in die Fresse zu feuern, dass es ein auf Gewaltopfer wie mich spezialisiertes Kommissariat gibt und mir quälende Mehrfachaussagen erspart bleiben werden.
Plötzlich realisiert Annika, dass sie soeben in eine Situation geraten ist, die ihr Gesicht verändert hat. Sie sitzt zitternd an die Heizung gelehnt auf dem überstrapazierten Flurboden und ist auf eine ekelhaft sentimentale Weise bemitleidenswert, die mich gleichermaßen aggressiv und überlegen macht.
Ich schreie hyperventilierend: »Du bist so gemein, du haust mir nur auf den Kopf, weil ich so lange Haare habe und da niemand die Blutergüsse sehen kann später!«
Annika schreit hyperventilierend: »Ja Mann, Scheiße, was soll ich denn machen?«
»Willst du mich jetzt fragen, wie du mich für diese ganze Scheiße bestrafen sollst oder was? Soll ich dir jetzt sagen: Hey, das
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