HelHeg-AxoRoa
aufrechterhaltende, todlangweilige Masse von Psychologen sagt dann: Oh, was wurde denn mit dir gemacht, wie schön, dass du darüber reden kannst, dann bist du ja vielleicht bald auch endlich normal. Und damit bin ich wieder in der Opferschlaufe festgebacken, während alle anderen triumphal irgendwo rausstolpern. Man muss sich Sekunde für Sekunde daran erinnern, irgendeiner Norm zu entsprechen und sich an irgendeiner bescheuerten vorgegebenen Konventionsscheiße abzuarbeiten. Sie hat mich mal ausgesetzt, da war ich so ungefähr sechzehn Monate. Natürlich sagen alle, man könne sich nicht so weit zurückerinnern, aber ich erinnere mich an dieses Gefühl, ausgesetzt und dadurch irgendwie auch ein Stück weit umgebracht zu werden. Kannst du dir vorstellen, wie megaaggressiv ich bin auf all diese pseudoerfahrenen Scheißleute um mich rum, die noch nie mit irgendeiner wirklich richtig ernsthaften Schwierigkeit konfrontiert wurden, außer vielleicht mit einer Rheumaattacke oder mit Trennungsschmerz? Und die mir vorschreiben, was ich notwendigerweise leisten muss und was vertretbar ist und was nicht und was künstlerisch o. k. ist und dass man über solche Themen keinesfalls in einem sozialkritischen Singsang sprechen darf, denn das ist eklig und out und muss sich alles auf einer ganz nüchternen und im besten Fall unterhaltsamen Ebene abspielen oder im allerbesten Fall gar nicht, weil es ist ja nicht mal mehr ein gesellschaftliches Tabu, sondern einfach nur kitschig. Ich denke dann immer: nein. Ihr habt keine Ahnung von irgendetwas anderem als von geregelten Verhältnissen, und sobald eure Verhältnisse nicht mehr geregelt sind, sind die das unter geregelten Umständen nicht mehr, dann springt ihr halt mal kurz durch irgendeinen Drogenabgrund oder feiert wilde Partys oder kotzt euer Gucci-Kleid aus dieser Kollektion aus den Vierzigern voll, und das war's dann auch schon, danach werden wieder Tagliatelle gegessen. Ich hasse Menschen. Ausgenommen Bibi, die ist super, wie ich gerade feststelle. Die sitzt da drüben, lässt extra dafür gedachte Pharaonen in Playmobil-Abgründe stürzen und ist bescheiden. Die Bescheidenheit. Ganz weit vorne.«
»Gab es Gucci in den Vierzigern überhaupt schon?«
»Wie bitte?«
»Bist du gerade verliebt?«
»Ja, das merkt man, was? In eine Person, die mir Dinge gesagt hat, von denen ich inzwischen träume. Jede Nacht. Scheiße. Jetzt bin ich allen Ernstes so eine melodramatische Heulbojen-Erna geworden, nur weil diese Frau zufälligerweise pervers ist. Vorgestern habe ich mich außerdem mit meiner besten Freundin gestritten. Die wird mir im äußersten Fall noch mal schreiben, dass sie mich immer liebt und in meinen Augen erkennen kann, wo ich gewesen bin und dass sie meine Zeugin ist. Und danach werden wir uns nie wiedersehen. Wir haben uns schon oft gestritten, einmal auch nur, weil ich ihr 'ne Mix-CD geschenkt habe und sie das in ihrer Musikexpertinnenehre gekränkt hat, aber dieses Mal läuft das irgendwie anders. Ist alles auch egal.«
»Sollen wir uns noch mal hinlegen?«
»Ja.«
Dann legen wir uns nebeneinander auf sein Bett, während draußen viele kleine freundliche Menschen zur Arbeit gehen oder Creamcheese-Bagel essen. Kurz bevor ich einschlafe, sagt er: »Dreh dich mal um, ich will dir was zeigen.« Und als ich mich umdrehe, legt er einfach seinen Arm um mich, in dieser forschen Bankiersmanie, die man mithin in Filmen sieht, und dann schlafe ich ein, und als ich zwischenzeitlich mal kurz aufwache, lege ich zur Abwechslung meinen Arm um ihn, und dann schlafe ich wieder ein. Das Ganze endet damit, dass ich irgendwann seinen Kopf zwischen den Beinen habe und mich vor lauter Wonne schreiend von rechts nach links wälze und meine Hände in seine auf dem Bett abgestützten Ellbogen kralle.
Irgendwann zwinge ich mich, aufzustehen. Als ich zur Wohnungstür schleiche, sehe ich auf einem kleinen Schränkchen im Flur ein mit groben Kieselsteinen gefülltes Aquarium, geschätztes Bruttowasservolumen: 160 Liter. Tagsüber muss es im Aquarium heller sein als nachts, und damit sind die Ansprüche des Axolotls an das Lichtkonzept auch schon ziemlich vollständig beschrieben, und sollte es in der Geschichte meiner persönlichen Heteromatrix oder zumindest in der Geschichte der Menschheit je einen idyllischeren Moment gegeben haben, dann weiß ich jedenfalls nichts davon.
Von:Mifti
An: Ophelia
Betrifft: Vorvorgestern
»Das ist meine Kindheit, die Kindheit einer Waisen, eines
Weitere Kostenlose Bücher