HelHeg-AxoRoa
Hause.«
»Sweetheart, das ist...«
»Ich weiß nicht, was ich machen soll, ehrlich. Sehe schon so eine beschissene holzvertäfelte Institutsambulanz vor mir, wo man sich dann mit vier essgestörten Hauptschülern unter achtzehn ein Zimmer teilen und basteln und an videogestützten Therapie gesprächen in Sitzsäcken teilnehmen muss. Mache in letzter Zeit auch nichts anderes mehr, als versehentlich Windschutzscheiben zu zertreten, vom Beifahrersitz aus, und plötzlich rieselt dann immer so eine Glasbrockenscheiße auf mich drauf.«
Take the money and run
(Steve Miller)
»Was?«
»Wirklich.«
»Du kannst auch (...)«
»Ich demoliere die g anze Zeit irgendwelche Sachen.«
»Du kannst ...«
»Es ist alles einfach wirklich scheiße gerade, Alice, es ist alles einfach wi rklich richtig scheiße gerade.«
»MIFTI, WILLST DU BEI MIR SCHLAFEN?«
Sie fängt jetzt allen Ernstes an zu heulen, von einer Sekunde auf die andere strömt ihr sozusagen mit Tränen vermischte Wimperntusche das Gesicht runter, und ich weiß zu allem Überfluss, wieso. Ich reagiere nicht, sondern bleibe aufgrund eines psychosomatischen Schwindelanfalls stehen und stütze mich an irgendeiner Laterne ab. Das hier jetzt gerade, das bedeutet glaube ich die Spiegelung meines Gesichts in der Erschaffung der Welt. Von einer Sekunde auf die andere entspricht diese Frau nicht mehr meiner Vorstellung. Vielleicht, weil ich weiß, dass ich nicht mehr ihrer Vorstellung entspreche. Dass ich zu alt geworden bin, ich sehe das ganz genau in ihrem Gesicht. Ich kann mich nur darauf verlassen, dass dieser Impuls, mich jetzt umzudrehen und zu gehen, ein Versehen ist. Dass sie sich nicht verändert hat, und dass alles genauso funktioniert wie früher. Und deswegen ni cke ich.
»Du kannst ruhig bei mir schlafen. Das ist in Ordnung.«
Wir steigen in einen mit weißem Leder ausgestatteten roten Mercedes. Ich weiß nur, dass sie früher immer gesagt hat, sie hätte gar keinen Führerschein. Hat sie vielleicht auch nicht. Aber offenbar hat sie einen Mercedes seit neuestem.Wir brettern damit stillschweigend durch die Scheiße und hören Brinsley Schwarz auf Repeat von einer Mix-CD mit so Siebzigersachen.
Der Himmel verdunkelt sich. Sie parkt vor einem Rokokoaltbau, der näher am türkischen als am schwulen Teil Schönebergs liegt und nur hundert Meter entfernt von einer der beiden bestgeöffneten Lidl-Filialen. Ich kurbele das Fenster runter und sehe ihr dabei zu, wie sie durch die Haustür in einen Flur mit schwarzem Holz und Spiegeln geht. Ich traue mich nicht zu fragen, wo sie hinwill und wie lange sie weg sein wird. Kurz nachdem die zweiundzwanzig Songs zum zweiten Mal durchgelaufen und die Straßenlaternen angegangen sind, kommt Alice mit gewaschenem Gesicht zurück. Sie setzt sich ins Auto und guckt mich an.
Ich so: »Wo warst du?«
»Ich habe meinem Liebhaber abgesagt.«
»Und wie soll ich mich dazu jetzt verhalten?«
»Überhaupt nicht.«
Sie holt eine neue CD aus dem Handschuhfach und legt sie ein, atmet durch, umkrallt das Steuer, und sagt, während sie, ohne ein einziges Mal zu blinzeln, geradeaus durch die Windschutzscheibe starrt:
»Was machst du, wenn der Krieg vorbei ist?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Was für einen Krieg meinst du denn?«
»Das ist völlig egal. Du ziehst irgendeinen alten Regenmantel an und wischst die Schmutzflecken aus deinem Gesicht, du läufst durch den Regen zu einer kleinen Provinzhaltestelle bis ans Ende des Bahnsteigs, von wo du auf den grauen Ozean gucken kannst.
Du packst deine Tasche in den schwarzen, runtergekommenen Zug, der da steht, als hätte er dich bereits erwartet. Du sitzt in einem Sessel aus erstklassigem Leder, es riecht total vermodert und verschimmelt, und starrst durch die vergilbten Zugfenstervorhänge auf die Räder der Maschine, die gerade in ihren Umdrehungsrhythmusscheiß reinkeuchen. Dein Zustand beginnt sich zu bessern, während du durch eine Landschaft aus Metall und Beton fährst. Durch eine baufällige Welt, die immer auf der Grenze zum endgültigen Zusammenfall scheint. Schmutzige Wäsche hängt in aschbleichen Hinterhofgärten, überall liegt weggeworfenes Spielzeug, das sind verwelkte Eindrücke, und dein konzentriertes Gesicht wird sozusagen gerahmt von einem Fenster in die Vergangenheit, das du die ganze Zeit versuchst, endgültig zusammenzufalten. Auf deinem Rückweg in dieses Zuhause, das im Moment noch ganz weit weg ist. Und wo angstvolle Treffen auf dich warten, hoffentlich
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