Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
eines von vielen Beispielen, dass sich Talent sogar gegen äußerst ungünstige Widerstände durchsetzen kann: Beethovens Vater war nämlich ein extremer Säufer.
Die Determinismustheorie ist pädagogisch und psychologisch wenig hilfreich. Dieser Determinismus hat vielleicht seine Richtigkeit in den vielen Fällen von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch. Gemäß Freud ist der determinierende seelische Einfluss der frühen Kindheit derart groß, dass angeblich kein Mensch eine Chance hat, ihm zu entrinnen. Aber: Frühe Prägungen wirken nur unter extremen Bedingungen determinierend, sonst allenfalls prädisponierend. Es gibt keinen Eins-zu-eins-Determinismus. John T. Bruer belegt dies recht eindrucksvoll in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch «Der Mythos der ersten drei Jahre – Warum wir lebenslang lernen». Bruer bestreitet nicht das Vorhandensein von «kritischen Perioden» bei der Hirnreifung und Hirnentwicklung, doch zeigt er auf, dass Lernen und kognitive Entwicklung während der gesamten Kindheit und darüber hinaus ein ganzes Leben lang stattfinden. Kinder und ihre Gehirne sind auch bemerkenswert widerstandsfähig, Kinder verfügen über geradezu grenzenlose Kompensationskräfte.
Die spannende Frage aber bleibt, wie es Kindern gelingt, schlimme Zeiten zu überstehen. Die Resilienzforschung kann ein paar Antworten auf diese Frage geben. Der Begriff meint wörtlich: zurückspringen, abprallen. Ursprünglich beschreibt Resilienz die Eigenschaft eines Materials, bei Verformungen wieder in seine Ursprungsform zurückzukehren. Auf den Menschen übertragen meint man damit – bildhaft – die Fähigkeit und die Bereitschaft, in die Spur zurückzuspringen, wenn man aus der Bahn geworfen wurde. Jedenfalls ist es gut, dass sich Psychologie und Psychiatrie nicht mehr nur der Pathogenese, sondern der Salutogenese widmen, das heißt: nicht nur die krankmachenden, sondern die gesundmachenden Faktoren in der Entwicklung eines Menschen berücksichtigen.
Interessantes Ergebnis der Resilienzforschung sind die Identifikation der Merkmale von «Unverletzlichen» und Stressresistenten – nämlich: Resiliente Menschen empfinden sich der Situation nicht ausgeliefert, sie gehen Probleme aktiv und realistisch an. Um diese Fähigkeit zu fördern, sollte man den Kindern deshalb nicht alle noch so kleinen Probleme rauben, sonst entwickeln sie keine «protektiven» Strategien, keine «Schutzengelfaktoren».
Resiliente Menschen haben sich übrigens oft früh von ihren Eltern distanziert, indem sie «herumstreunten», bereits in ganz jungen Jahren Jobs annahmen, früh eigenes Geld hatten und sich dadurch etwas unabhängiger machten. Andere kompensierten ihre traumatischen Erlebnisse, indem sie Extraaufgaben in Schule, Verein oder Jugendgruppe annahmen.
Nicht selten gehen aus traumatisierenden Familienkonstellationen ungewöhnlich reife, psychisch gesunde und widerstandsfähige Menschen hervor. Selbst eine schlimme Kindheit wird in sehr vielen Fällen überwunden. Man muss dabei nicht so plakativ argumentieren wie Wendy Mogel (2008), die ein aufgeschlagenes Knie für einen Segen hält, aber es ist schon etwas dran, dass Kinder durch Krisen oder Belastungen stark werden können. Rein biologisch betrachtet wissen wir das aus der Immunologie und aus der Trainingslehre längst.
Der elterliche bedient den kindlichen Narzissmus
Der Begriff «Narzissmus» rekurriert auf den antiken Mythos von Narziss, der an ein Wasser kam und sich dort in sein Spiegelbild verliebte. Nach einer der vielen überlieferten Versionen will sich Narziss mit seinem Spiegelbild vereinen. Er fällt dabei aber ins Wasser und ertrinkt.
Dieses Ende wollen wir nicht unterstellen und schon gar nicht erhoffen. Aber eine Parallele zur «modernen» Pädagogik liegt nahe. Die quasimoderne Pädagogik hat nämlich das narzisstische Selbst – in diesem Fall zunächst der Kleinen – zum Fetisch erhoben. Die Lern- und Förderziele dieser Pädagogik lauten deshalb: Selbstbestimmung, Selbstentfaltung, Selbsterfahrung, Selbsterziehung, Selbstevaluation, Selbstkonzept, Selbstqualifizierung, Selbstregulierung, Selbststeuerung, Selbstunterricht, Selbstvergewisserung, Selbstverwirklichung, Selbstwerdung, Selbstwirksamkeit, Selbstzentrierung. Nicht angesagt sind leider: Selbstbeherrschung, Selbstbesinnung, Selbstdisziplin, Selbstironie, Selbstkritik, Selbstlosigkeit. Und dass aus lauter Selbst schließlich Selbstbesessenheit, Selbstbespiegelung, Selbstbetrug,
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