Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Selbstgefälligkeit, Selbstgerechtigkeit, Selbstherrlichkeit, Selbstsucht, Selbsttäuschung, Selbstüberschätzung werden können, darüber grämen sich egomanisch infizierte Visionäre nicht. Autismus wird damit zur (Unterrichts-)Methode. Psychoanalytiker würden sagen: Das ist die Projektion des Egotrips der Erfinder auf die Kinder.
Ob dahinter schlicht und einfach nur Sigmund Freuds Lustprinzip oder Michel Foucaults «Autofinalisierung» und «Autosubjektivierung» samt seiner Forderung nach Befreiung von Fakten und Lasten steckt, ist nicht bekannt. Aber Foucaults Kernsatz «Das Selbst ist das definitive und alleinige Ziel der Selbstsorge» und sein Imperativ «Kümmere dich um dich selbst!» scheinen in die Pädagogik eingedrungen zu sein. Alfred Schirlbauer, Pädagogikprofessor an der Universität Wien, kritisiert in Vorträgen heftig diese «Neue Lernkultur», der zufolge «Schülerinnen und Schüler ihr Lernen selber organisieren und planmäßig Lehrfunktion übernehmen» und der zufolge «alle Lehrende und alle Lernende» seien. Er folgert messerscharf: Wenn alle in der Schule Lernende seien, habe es wenig Sinn, die in der Regel Älteren unter ihnen zu bezahlen, die anderen nicht.
Viele Eltern leben und fördern diesen Tanz um das goldene Selbst. Das Kind wird zum Projekt, zum Eigentum, zum wichtigsten Investitionsprojekt, zum Statussymbol, zur Visitenkarte, zum Prestigeobjekt. Das hat viel mit Projektionen zu tun. Solche Projektionen gehen oft auf als Selffulfilling Prophecy, das heißt, als sich selbst erfüllende Prophezeiung und als Pygmalion-/Rosenthal-Effekt. Selffulfilling Prophecy bedeutet hier, dass Eltern durch ihr Verhalten unwillentlich, unbewusst, suggestiv das von ihnen erwartete Verhalten des Kindes provozieren. Wenn ich meinem Kind tagaus, tagein suggeriere, für wie toll ich es halte, dann verhält sich das Kind auch so. Wenn ich ihm suggeriere, dass ich nichts Großartiges von ihm erwarte, dann wird es meine Erwartungen womöglich noch unterbieten. Diese Dynamik ist übrigens oft der Grund, warum sich die Prophezeiungen von Horoskopen gelegentlich real einstellen. Der Pygmalion- bzw. nach seinem «Entdecker» auch Rosenthal-Effekt benannte Effekt besagt ebenfalls, dass Eltern ihren Kindern in unterschwelliger Weise ihre Erwartungen einimpfen. Der Begriff «Pygmalion» geht zurück auf den antiken Künstler Pygmalion, der sich in eine von ihm geschaffene Frauenstatue verliebt, die am Ende tatsächlich lebendig wird.
Das Leitmotiv der durch das Kind erhofften Selbstverwirklichung der Eltern wird zum Nährboden eines zumindest latenten Narzissmus. Außerdem meinen Eltern unbewusst, mit ihren Kindern demonstrieren zu können, welche Gene man weitergegeben hat und was man alles in das Kind investiert. Für das Kind ist das eine gefährliche Angelegenheit: Geht alles gut, dann wird aus dem Hoffnungsträger der Stolz der Eltern, geht es schief, dann wird aus ihm ein Sündenbock. Letzteres kommt vor allem dann zum Tragen, wenn ein Kind mit einem angeborenen Fehler zur Welt kommt. Für viele Eltern ist dies ein schweres narzisstisches Trauma.
Eigene Wünsche der Eltern, womöglich unerfüllte, und Zukunftsängste werden in das in vielen Fällen einzige Kind hineinprojiziert. Selbst in vergleichsweise harmlosen alltäglichen Situationen kommt dann die erfahrene narzisstische Kränkung zum Vorschein: «Es kann doch nicht sein, dass wir in Mathe wieder eine Fünf kassiert haben, wir haben doch so viel miteinander geübt.» Solche Sätze mit dem Plural «wir» kommen in Gesprächen von Eltern mit Lehrern gar nicht selten aus Elternmund. Das Umgekehrte gilt in gleichem Maße, wenn eine Leistung des Kindes und implizit der Beitrag der Eltern dazu glorifiziert werden: « Wir haben eine Eins in Latein geschafft.» – « Wir sind beim letzten Turnturnier Regionalmeister geworden.» Dann wird das Kind zum Statussymbol, zum Trophäenkind (vgl. Ron Alsop: «Trophy Kids»), zum Werbeposter, Plakat. Das Kind steht auf einem Podest als öffentliche Repräsentanz und sozusagen als Portfolio der Eltern. Am Ende meinen viele Kinder gar, sie seien das Ideal dieser Zeit. Ein Jugendwahn, der bis hinauf in die Großelterngeneration reicht, und die Bereitschaft der «Alten», das «Outfit» und den Jugendjargon zu imitieren, signalisieren den Heranwachsenden, dass sie tatsächlich ein Leitbild darstellen.
Christopher Lasch (1979) hat sich eingehend mit dem Zusammenhang zwischen Narzissmus und der Permissivität in
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