Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
der Erziehung befasst. Er schreibt: «Verbesserte Methoden der Geburtenkontrolle hatten dem progressiven Glaubensbekenntnis zufolge die Eltern von der Last unerwünschter Kinder befreit. In der Praxis schien diese Freiheit jedoch auf die Verpflichtung hinauszulaufen, den Kindern zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens das Gefühl des Erwünschtseins zu geben.» Das heißt auch, das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, zu geben. Der Kinderanalytiker Bruno Bettelheim machte in seinen wegweisenden Schriften unter anderem deutlich: «Es wächst im Augenblick eine sehr ichbezogene Generation heran, weil die Eltern ihren Kindern nicht genug von sich selbst geben – ich meine nicht Zeit, sondern Gefühle. Diese Kinder werden sich genau wie ihre Eltern auf sich selbst konzentrieren.»
Kindheit ist für manche Eltern in ihrer bisweilen blinden Vernarrtheit in den eigenen Nachwuchs zur Projektionsfläche überhöhter Zukunftserwartungen geworden. Kinder sollen die Karriere der Mütter nicht bremsen, sie sollen die Renten sichern, sie sollen dem Leben ihrer Eltern Sinn geben. Das geht so weit, dass sich Mütter und Väter oft nur noch über ihre Identität als Eltern definieren, nicht mehr aber als Partner, als Paar.
Ein Prachtkind muss das Kind sein, zumindest dem Namen nach. Bereits mit dem Namen soll es sich von der Masse abheben. Coole Vornamen für das eben Neugeborene sollen signalisieren, dass auch die Eltern cool sind. Laut dpa-Umfrage vom März 2013 beim Bundesverband der Deutschen Standesbeamten und beim «Namenskundlichen Zentrum der Universität Leipzig» werden immer häufiger ungewöhnliche Vornamen für ein Neugeborenes gewählt. Falls Standesämter einen Vornamen in seltenen Fällen doch ablehnen, ziehen nicht wenige Eltern sogar vor Gericht, um einen Namen durchzuboxen. Und so heißen die Kleinen denn: Sexmus Ronny, Don Armani, Camino Santiago Freigeist, Brooklyn, Bentley, Tarzan, Schneewittchen, Apple, Peaches … alles kommt vor. Allerdings gibt es gewisse Zusammenhänge zwischen dem Bildungsgrad der Eltern und der Wahl des Vornamens. «Bildungsferne» suchen sich eher ausgefallene Namen, Bildungsbürger eher Namensklassiker wie Maximilian, Alexander, Paul, Marie, Sophie und Anna.
Dieser «kleine» Narzissmus im Alltag geht wohl damit einher, dass unsere ganze Epoche geprägt ist von der Signatur eines Narzissmus. Hans-Joachim Maaz (2012) hat dies sehr schön beschrieben: «Unsere Gesellschaft ist in die Narzissmus-Falle geraten.» Maaz fügt freilich unmittelbar an: «Der narzisstische Mensch ist im Kern ein um Anerkennung ringender, stark verunsicherter Mensch.» Für Maaz ist die narzisstische Bedürftigkeit gar ein zentrales Symptom der meisten Bürger der westlichen Konsumgesellschaften. Maaz erinnert damit im Grunde an Erich Fromms wohl bekanntestes Werk «Haben oder Sein» (1976). Fromm sieht in der Abhängigkeit des modernen Menschen vom Haben das Grundübel der heutigen Zeit. Wichtiger wäre, so Fromm, das Sein als einzige Chance für ein erfülltes, nicht zweckentfremdetes Leben zu sehen. Das Haben bzw. das Habenwollen allein endeten in Narzissmus, Egozentrik, Selbstsucht. Erich Fromm warnt deshalb vor der zunehmenden Abhängigkeit des modernen Menschen vom Haben, die den Menschen hindert, das Sein zu erleben.
Gewiss ist ein normal ausgeprägter Narzissmus wichtig für die Entwicklung eines Selbstwertgefühls. Dies zu fördern ist Aufgabe der Erziehung. Es ist dies sogar ein christliches Gebot: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.» Das impliziert völlig gleichberechtigt, dass der Mensch sich auch selbst liebt. Wem dieser normale Narzissmus fehlt, der schlittert schnell in Minderwertigkeitsgefühle hinein, die depressive oder gar suizidale Ausmaße annehmen können. Alain Ehrenberg hat dieses Problem in seinem Werk «Das erschöpfte Selbst – Depression und Gesellschaft in der Gegenwart» von 2004 beschrieben. Depression ist für ihn eine «Krankheit der Freiheit», denn der Mensch werde durch die Überfülle an Optionen der Selbstverwirklichung in eine «narzisstische Erschöpfung» getrieben.
Zurück zu den Überlegungen von Maaz und zur Erziehung. Maaz schreibt: «Das wesentliche Kriterium einer narzisstischen Elternschaft ist die Tatsache, dass die Eltern die Kinder für ihre Bedeutung und Stabilität brauchen. Somit sind sie keine Eltern, die für ihre Kinder da sind, sondern die Kinder müssen für ihre Eltern da sein.»
Dass sich Eltern gern im Erfolg und im Ansehen ihrer Kinder
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