Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Schmeichelhafteste, was man heute einem Erwachsenen sagen kann, scheint, ihm sagen zu dürfen, dass man ihm seine Jahre nicht anmerke. Das Gemälde «Jungbrunnen» von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1546 ist bildhafter Ausdruck dieser Sehnsucht nach Jugend: Links steigen dort die Alten und Kranken in den Brunnen, rechts kommen sie als schöne Junge wieder heraus. Aber: Die auf knackig Gestylten, die Berufsjugendlichen, das sind keine Erwachsenen. Es sind keine Vorbilder, die den Jungen Leitlinie sein können.
Aber erwachsene Vorbilder brauchen wir auch in puncto Lebenszuversicht und Optimismus. Stattdessen gilt in Deutschland schlechte Laune als Merkmal aufgeklärten Daseins. Unsere jungen Leute können aber keine ausgeglichene Laune haben, wenn sich die Alten ständig den Puls messen und die Realität weinerlich-hypochondrisch untertunneln.
Also ist ein autoritativer Erziehungsstil angesagt. Dieser «arbeitet» erstens mit Liebe und zweitens mit klaren Regeln. Erfährt ein Kind diese Mischung, dann erlebt es seine Eltern als stark. Es spürt, dass man bei Vater und Mutter geborgen ist. Autoritative Eltern wissen zwischen Verhalten und Persönlichkeit des Kindes zu unterscheiden. Weil jeder Mensch und jedes Kind anders ist, gibt es keinen idealen Erziehungsstil. Der autoritative Stil kommt dem Ideal aber zumindest nahe, er braucht kein autoritäres Verhalten, denn wer autoritative Autorität hat, muss nicht autoritär handeln. Oder anders herum: Wer ständig auf Autorität machen muss, hat keine Autorität.
Grenzziehungen gehören dazu. Das ist in einer Welt der zigtausend Möglichkeiten oft schwer. Kinder brauchen aber grenzensetzende Rituale und Strukturen, sie sind die Leitplanken im Leben junger Menschen. Zum Beispiel ist ein strukturierter Tag mit gewissen geregelten Abläufen wichtig für ein Kind. Damit werden sogar Kontingenzen, Unwägbarkeiten, erträglicher.
Je nach Alter können Grenzsetzungen gegenüber dem Kind begründet werden. Falls es aber keine Einsicht zeigt oder sie noch nicht haben kann, muss ein Nein nicht in eine Diskussion ausarten. Nicht jede alltägliche Verrichtung kann zum Gegenstand endloser Debatten und Diskurse werden: Fernsehkonsum, Essen, Kleidung, Hausaufgaben, Ausgeh- und Schlafenszeiten – das alles gehört dazu. Manchmal muss die Antwort reichen: «Basta, so isses!» Oder: «Nein, und zwar endgültig.» Oder: «Nein, ich bleibe bei meiner Meinung.» Ein klares Nein bringt Kindern mehr als ein laues «Meinetwegen!». Es geht eben nicht alles immer über Erklären, Erklären, Erklären und ein nochmaliges Verhandeln, Verhandeln, Verhandeln. Kinder wollen, dass irgendjemand sie stoppt in ihren überschießenden Energien. Das gilt durchaus auch für den Nachwuchs anderer Eltern, der gerade beim eigenen Kind zu Gast ist und sich unbotmäßig verhält. Leider haben viele Eltern hier erst recht nicht den Mut, ermahnend einzugreifen.
Kinder wollen – obwohl es manchmal so aussehen mag – ihre Eltern nicht an der Leine herumführen, sie wollen Eltern, die ihnen Orientierung geben. Woher denn sonst sollen sich die Heranwachsenden ihre Orientierung, die zugleich Kern ihrer Identität ist, holen? Identität schöpft sich nämlich immer – und mit steigendem Alter noch mehr – von innen nach außen aus konzentrischen Kreisen: zunächst aus dem Identifizierungs- und Orientierungsangebot der Familie, später aus den Gleichaltrigen und Freunden, dann aus dem kulturellen Umfeld und dem Wertekosmos, dann aus metaphysischen Reflexionen.
Zum autoritativen Erziehungsstil gehört es auch, dass Eltern die eigenen Kinder zur Anerkennung anderer und legitimer Autoritäten erziehen. Wenn hyperkritische Eltern ihren Kindern etwa signalisieren, dass sie das eigene Kind als Opfer des Schulsystems oder doofer Lehrer sehen, dann müssen sie sich nicht wundern, wenn die Schule von ihren Kindern nicht ernst genommen wird. Gewiss muss Kritik an Schule sein dürfen, aber auch im Interesse der Kinder darf Schule zumindest nicht als alleinige Ursache für das Versagen oder gar für die Traumatisierung von Kindern dämonisiert werden. Eine von Eltern suggerierte Viktimisierung ihrer Kinder durch die Schule, die Haltung also, das Kind sei immer nur Opfer, erzieht Kinder zu einer Haltung «seliger Verantwortungslosigkeit» – so Pascal Bruckner in seinem Buch «Ich leide, also bin ich» von 1996. Misserfolge werden nämlich gerade vom verwöhnten Kind – und dessen Eltern – gern external
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